Seite - 23 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Auf der anderen Seite galten Jüdinnen und Juden, die aus Palästina auswander-
ten, als „Yordim“ (Absteigende), die Emigration als „Jeridah“ (Abstieg). Der zweifel-
los negativ konnotierte Ausdruck hat seinen Hintergrund in den Ereignissen rund
um den Auszug aus Ägypten, als sich Teile der Israeliten nicht der Wüstenwande-
rung angeschlossen hatten und dadurch mit dem Vorwurf konfrontiert wurden,
materielle Vorteile den geistigen Werten und dem persönlichen Anteil an der
Volkswerdung vorzuziehen. Im Hinblick auf die spätere jüdische Gemeinschaft in
Palästina lagen die Ursachen des missbilligenden bis verächtlichen Beigeschmacks
der Bezeichnungen darin begründet, dass der Aufbau und Erhalt der jüdischen
Heimstätte als stetiger Existenzkampf verstanden wurde, wobei jede Einwanderin
und jeder Einwanderer als Verstärkung, jede Auswanderin und jeder Auswande-
rer als Schwächung anzusehen war. Rückwanderung wurde als Fahnenflucht und
Verrat betrachtet. Eine weitere Abgrenzung bzw. Hierarchisierung kam durch die
Kategorisierung nach bereits in Palästina geborenen Jüdinnen und Juden, den so
genannten „Sabres“34, einerseits und nach zugewanderten oder immer noch in der
Diaspora verharrenden Jüdinnen und Juden andererseits zustande.
Die hohen Ansprüche, die die Zionisten und der Yishuv an die Einwanderer
hatten, betrafen nicht nur die geistige Einstellung, sondern auch die körperlichen
Eigenschaften. Das zionistische Idealbild eines Immigranten war ein kämpferi-
scher, physisch arbeitender Pionier, der aktiv zum Aufbau des jüdischen Staates
beitrug und sich im besten Fall bereits vor der Einwanderung einer beruflichen
„Umschichtung“ unterzog. Das Aneignen von spezifischen Qualifikationen stand
schließlich im Zentrum der „Hachscharah“, dem zionistischen Programm, das den
hebräischen Namen für „Vorbereitung“ bzw. „Tauglichmachung“ trägt. Die primär
auf die Ausbildung in landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen abzie-
lende Umschichtung war allein aus praktischen Gründen erforderlich, da für die
Vielzahl an Akademikern und Kaufleuten, die einen großen Teil an der mitteleuro-
päischen Einwanderung der 1930er Jahre stellten, kaum Beschäftigungsmöglichkei-
ten existierten. Andererseits ging es darum, die in den Diaspora-Ländern typische
Gesellschaftspyramide umzudrehen und den Arbeiterberufen (und anderen auf
Körperkraft basierenden Tätigkeiten) eine bevorzugte Stellung einzuräumen. Die
Idee dahinter war letztlich, eine „ideologische Brücke zu einem neuen Dasein“ zu
bilden, „das die Bitterkeit der sozialen Deklassierung durch die der Arbeiterschaft
gezollte Achtung weitgehend ausglich.“35 Wie Gerda Luft in ihren Ausführungen
festhält, stand die Vorstellung, dass die frühen Einwanderinnen und Einwanderer
allesamt „Chaluzim“, so der hebräische Begriff für Pioniere, gewesen wären, im
Gegensatz zur Wirklichkeit, da sich mit der Entwicklung der Städte zwangsläufig
auch urbane Berufe (Angestellte, Ladenbesitzer etc.) etabliert hatten.36
Die „Erneuerung“ des jüdischen Volkes sollte nicht allein durch deren Trägerin-
nen und Träger
– körperlich gesunde, sozial eingestellte junge Menschen
– sondern
auch durch eine neuartige Lebensform erreicht werden. Zu den Zentren des neuen
34 Vom hebräischen Wort „Tzabar“ für Kaktusfeige.
35 Luft, Heimkehr, S. 49.
36 Ebda.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918