Seite - 83 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Neben der vielfältigen Parteienlandschaft bestanden in der Zwischenkriegszeit auch
zahlreiche unterschiedliche zionistische Vereine, die einerseits den Parteien zuge-
hörig waren (bzw. formell als Vereine agierten, aber als politische Fraktionen ein-
zustufen waren
– etwa der „Verband radikaler Zionisten Österreichs“), andererseits
unabhängig existierten und mit klar umrissenen (zumeist wirtschaftlichen oder
kulturellen) Intentionen gegründet worden waren, so z. B. auch die Sportvereine,
die neben der körperlichen Betätigung und der Geselligkeit auf die Stärkung des
jüdischen Selbstbewusstseins abzielten.
Von großer Bedeutung speziell im Hinblick auf die Auswanderung nach Paläs-
tina waren die zionistischen Jugendvereine, die auch der österreichischen Alijah in
den 1930er Jahren einen starken Impuls gaben. Jüdische Jugendorganisationen215
erlebten parallel zur allgemeinen Jugendbewegung nach dem Ersten Weltkrieg
einen europaweiten Aufschwung und erhielten durch die zunehmenden Ausgren-
zungstendenzen von nichtjüdischen Vereinen großen Zulauf.216 Während sich die
wichtigsten Ziele – die Förderung des Gemeinschaftsbewusstseins und die Erzie-
hung im Sinne nationaljüdischer Vorstellungen – mit jenen anderer zionistischer
Organisationen im Wesentlichen glichen, kam bei den Jugendvereinen der Gedanke
des Pfadfindertums hinzu, der sich in einer ausgeprägten Naturverbundenheit, in
der Bevorzugung der körperlichen bzw. manuellen Arbeit und in der Pflege des
Sports niederschlug. Die politische Orientierung der Bünde war jedoch alles andere
als homogen, vielmehr existierte gleich wie bei den Erwachsenenorganisationen
eine Bandbreite an unterschiedlichen Richtungen, die häufig sogar innerhalb des-
selben Lagers zu heftigen ideologischen Auseinandersetzungen führte. Kennzeich-
nend für die zionistischen Jugendvereine war die konkrete Vorbereitung auf die
Alijah, die von zahlreichen Bünden konsequent verfolgt wurde. Im Gegensatz zur
Mehrheit der Zionistinnen und Zionisten, die die Abwanderung nach Palästina die
längste Zeit nicht in Betracht gezogen hatte, war es vor allem die Jugend, die sich mit
den Idealen der Bewegung identifizierte und die Alijah in vielen Fällen tatsächlich
anstrebte. Die wichtigsten Vereinigungen mit zionistisch-sozialistischer Ausrich-
tung waren der typisch „westjüdische“ „Blau-Weiß“ und der typisch „ostjüdische“
„Haschomer Hazair“217. Der 1913 gegründete „Österreichische Bund Blau-Weiß
für jüdisches Jugendwandern“ umfasste nach fünf Jahren bereits 22 Ortsgruppen
mit insgesamt 1.200 Mitgliedern und orientierte sich hinsichtlich Organisation und
Aktivitäten an der deutschen Jugendbewegung, besonders am „Wandervogel“. Die
215 Siehe dazu Johanna Josephu, Jüdische Jugendorganisationen vor 1938 und nach 1945. Ein soziolo-
gischer Vergleich. Phil. Diss., Wien 2000, v.a. S. 190–231; außerdem Anderl/Jensen, Auswanderung,
S. 190–195.
216 „Die zionistischen Jugendbewegungen entwickelten sich nach dem Muster der bereits existierenden
deutschen Jugendbewegungen wie etwa des Wandervogels; hinzu kam noch der Einfluss der engli-
schen Boy-Scouts. Ihr Programm zog uns vor allem deshalb an, weil es Jugendlichen Möglichkeiten
zu gesunden Aktivitäten bot, wiewohl nicht verhehlt werden kann, dass wir uns auch wegen des in
Wien latent stets vorhandenen Antisemitismus gerade zur jüdischen Jugendbewegung hingezogen
fühlten.“ Kollek, Jerusalem, S. 19.
217 Hebr.: Der junge Wächter.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918