Seite - 88 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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Die 1920er Jahre:
Dritte und Vierte Alijah
Eines der wesentlichsten und unmittelbaren Ergebnisse des 1920 geschlossenen
Mandatsvertrages war der enorme Anstieg der jüdischen Bevölkerung in Palästina.
Schon zuvor wurde die durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochene
jüdische Migrationsbewegung nach Palästina im Rahmen der Dritten Alijah (1919
bis 1923) fortgesetzt. Ihre Ursachen lagen nicht nur in den Folgen der Russischen
Revolution und in den Nachkriegspogromen der Ukraine begründet – maßgeb-
lich wurde sie auch von den Diskussionen um die nationale Selbstbestimmung
in Europa und durch die Verabschiedung der Balfour-Deklaration beeinflusst. Zu
der Bevölkerung in Palästina, die sich im Jahr 1919 aus 551.000 Muslimen, 65.300
Juden, 62.500 Christen und 5.050 sonstigen Einwohnern (z. B. Armeniern, Drusen
und Bahai) zusammensetzte230, kamen innerhalb von vier Jahren rund 35.000 jüdi-
sche Immigrantinnen und Immigranten hinzu, wobei der Großteil abermals aus
Russland und Polen stammte. Diese Neuankömmlinge, von denen zahlreiche der
Bewegung des „Hechaluz“ angehörten, werden gemeinsam mit jenen der Zweiten
Alijah als Generation der „Pionier- und Gründerväter“ charakterisiert, unterstütz-
ten sie doch den Aufbau der jüdischen Landwirtschaft, stellten Arbeitskräfte für
den Wohnungs- und Straßenbau und die Industrie und nahmen darüber hinaus
eine bedeutende Rolle innerhalb des Yishuvs ein, auch wenn dessen Angehörige
den Zuwanderinnen und Zuwanderern nicht vorbehaltlos gegenüberstanden:
„Wir alle lieben die Alijah, aber nicht die Olim“, beschrieb der hebräische Dichter
Chajim Nachman Bialik (1873–1934) die Situation der Neueinwanderinnen und
Neueinwanderer, die oftmals alles andere als brüderlich und herzlich aufgenommen
wurden.231
Die Mehrheit der ersten Immigrantinnen und Immigranten ließ sich in Städten
nieder und war etwa als Handwerker oder Tagelöhner oder in der Verwaltung tätig,
viele arbeiteten als Lehrer, Journalisten, Ärzte oder Anwälte. Durch die Gründung
mehrerer neuer Siedlungen vergrößerte sich außerdem die Landkarte Palästinas
zugunsten der jüdischen Bevölkerung. Entgegen den Vorstellungen Herzls, der das
Hebräische als ungeeignet für eine alltägliche Umgangssprache hielt232 und einen
sprachlichen Föderalismus nach Schweizer Vorbild befürwortete („Jeder behält
seine Sprache, welche die liebe Heimat seiner Gedanken ist“233), fand die hebräische
230 Krämer, Geschichte Palästinas, S. 186.
231 Shalom Ben-Chorin, Fremdheit und Verfremdung. In: Walter Zadek (Hg.), Sie flohen vor dem
Hakenkreuz. Selbstzeugnisse der Emigranten. Ein Lesebuch für Deutsche, Reinbek bei Hamburg
1981, S. 141. Zum angesprochenen Konflikt siehe ausführlich das Kapitel zur Fünften Alijah.
232 Bekannt wurde vor allem folgender Ausspruch: „Wer von uns weiß genug Hebräisch, um in dieser
Sprache ein Bahnbillet zu verlangen?“ Herzl, Judenstaat, S. 99.
233 Ebda.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918