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rung, das Haavara-Abkommen304 zu realisieren, vor allem in zwei Motiven begrün-
det: Der angestrebte Abbau der Arbeitslosigkeit und die sichergestellte Versorgung
mit Rohstoffen für eine Wiederbewaffnung erforderten es einerseits, den Fokus
der Wirtschaftspolitik zwischen 1933 und 1936 auf eine weltweite Förderung der
deutschen Ausfuhren zu legen. Dieses Vorhaben drohte jedoch durch die infolge der
antisemitischen Maßnahmen geplante internationale Boykottbewegung deutscher
Waren zu scheitern. Andererseits verhinderten die Devisenbestimmungen, die den
Umtausch von Reichsmark in eine fremde Währung seit August 1931 nur äußerst
beschränkt zuließen und ab 1936 sogar gänzlich untersagten, eine Immigration
nach Palästina mittels „Kapitalisten“-Zertifikaten. Zahlreiche Jüdinnen und Juden
verfügten zwar über ein Kapital von RM 15.000,–, konnten es aber aufgrund des
Transferverbots nicht in den notwendigen Gegenwert von 1.000 Palästina-Pfund305
einwechseln. Chaim Arlosoroff, Mitglied der Jewish Agency, artikuliert diese Pro-
blematik, von der zigtausende „Auswanderungswillige“ betroffen waren, in einem
Zeitungsartikel wie folgt: „Es ist ein Erfordernis des fair play, denjenigen Juden, die
unter den gegenwärtigen Verhältnissen sich eine Chance außerhalb Deutschlands
suchen müssen, ihr Vermögen zu lassen, das ihnen die Zukunft sichern kann.“306
Gleichzeitig räumt er ein, dass ein Abkommen mit der deutschen Regierung unum-
gänglich sei:
„Aber es ist klar, dass Deutschland seine Währungs- und Devisenposition
keiner Spannung aussetzen wird, um den Juden besonders entgegenzukom-
men. Ein Ausweg kann nur so gefunden werden, dass ein Ausgleich zwi-
schen den Interessen geschaffen wird. […] Es sollte möglich sein, zu einem
Abkommen zu gelangen, das die für die Palästina-Wanderung freigegebenen
Vermögen durch deutsche Warenexporte nach Palästina aufwiegt. Es wäre
vielleicht auch möglich, eine Treuhandgesellschaft ins Leben zu rufen, an der
das Reich direkt beteiligt wäre. […] Auf jeden Fall kann man nicht herum-
kommen, einen Ausweg zu finden. Dieser Ausweg kann nur in Verhandlun-
gen mit der Regierung gefunden werden. Ich bin überzeugt, dass die öffent-
liche Meinung der Welt diese Verhandlungen mit großer Aufmerksamkeit
und Sympathie verfolgen wird und in einer den Interessen aller Beteiligten
gerechten Lösung einen wichtigen Fortschritt auf dem Wege zu einer kon-
struktiven Behandlung der Judenfrage in Deutschland erblicken wird.“307
Der Vorschlag „Ware gegen Menschen“ führte zu heftigen Auseinandersetzungen
innerhalb jüdischer und zionistischer Organisationen und wurde zuvorderst von
304 Haavara – hebr.: Transfer.
305 Das Palästina-Pfund (LP), seit 1926 die offizielle Währung Palästinas, war an das englische Pfund
gebunden – jedes LP war gleich ein Pfund Sterling.
306 Chaim Arlosoroff, „Was kann Palästina den deutschen Juden bieten?“ In: Jüdische Rundschau, Heft
41 (23. 5. 1933) S. 214 f. Zit. auch in: Juliane Wetzel, Auswanderung aus Deutschland. In: Wolfgang
Benz (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft,
München 1988, S. 465.
307 Ebda.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918