Seite - 131 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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der Großteil der Genannten zusammen mit anderen Opfern der ersten Massen-
verhaftung
– neben Juden größtenteils politische Oppositionelle
– von den Wiener
Gefängnissen Roßauer Lände und Karajangasse ins KZ Dachau verschleppt.358
Jakob Ehrlich starb noch im Sommer 1938. Desider Friedmann und Robert Stri-
cker wurden im Februar 1939 zwar freigelassen, die Auswanderung blieb ihnen
trotz vorhandener Immigrationszertifikate nach Palästina jedoch verwehrt. Ende
1942 wurden sie nach Theresienstadt und darauf nach Auschwitz deportiert, wo sie
1944 ermordet wurden.
Ende März 1938 bestellte Eichmann mehrere führende Persönlichkeiten ver-
schiedener jüdischer Institutionen und Fraktionen ins Palästina-Amt, um die
künftigen Aufgaben und Befugnisse der Organisationen anzuordnen. Was sich bei
diesem Treffen bereits herauskristallisierte, war die Strategie, mit welcher die nati-
onalsozialistischen Machthaber die Verfolgungs- und Vertreibungspolitik umzuset-
zen trachteten: Wie Doron Rabinovici in seiner Studie „Instanzen der Ohnmacht“
aufzeigt, gehörte die erzwungene Zusammenarbeit jüdischer Funktionäre mit dem
NS-Regime von Beginn an zur Taktik der Nationalsozialisten.359 Entgegen der
Annahme der zionistischen Führung, die eine Zentralisierung der österreichischen
Alijah in der „Deutschen Abteilung“ der Jewish Agency beschlossen hatte, lag die
Verschmelzung des jüdischen und zionistischen Apparates in Österreich mit den
Institutionen im „Altreich“ nicht im Interesse der nationalsozialistischen Macht-
haber. Abgeschnitten von der Hilfe anderer jüdischer und zionistischer Organisa-
tionen des Reichs und auch innerhalb Österreichs isoliert, sollte eine bedingungs-
lose Kooperation hergestellt werden. Der systematischen Umstrukturierung der
jüdischen Administration, der Wiedereinsetzung von „nützlichen“ Institutionen
sowie der genauen Festlegung der Aktivitäten wurde in den Wochen nach dem
„Anschluss“ von den nationalsozialistischen Behörden deshalb oberste Priorität
358 Unter den 151 Häftlingen befanden sich 60 Juden, ein zweiter, am 23.
Mai 1938 abgegangener Zug
erfasste 50 Juden. Einen Tag später befahl die Gestapo die unverzügliche Verhaftung von 2.000
gut situierten, „unliebsamen“ oder kriminellen Juden, deren Überführung nach Dachau in vier
Transporten, am 30.
Mai, am 2. und 16.
Juni und am 15.
Juli, erfolgte. Die meisten wurden in den
Folgemonaten ins KZ Buchenwald überstellt und dort zum Barackenbau eingesetzt. Grundlage
der erstmals durchgeführten Massenverhaftungen war die im Deutschen Reich im Februar 1933
in Kraft getretene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, die zwar
den Begriff der „Schutzhaft“ nicht enthielt, Inhaftierungen jedoch durch die Außerkraftsetzung
des Grundrechtes auf persönliche Freiheit legalisierte. Kennzeichnend waren drei Merkmale: Die
„Schutzhaft“ erfolgte ohne richterliche Anordnung auf Befehl von Exekutivorganen, der Vollzug
war generell unbefristet und in staatlichen Konzentrationslagern zu vollstrecken und gegen ihre
Verhängung gab es kein Rechtsmittel. Der „Schutzhaft“-Gedanke war zwar nicht neu, die nati-
onalsozialistische Interpretation ließ allerdings ein Polizeihaft- und Lagersystem entstehen, das
sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht nichts Vergleichbares kannte. Vgl. Michael P.
Hensle, Die Verrechtlichung des Unrechts. Der legalistische Rahmen der nationalsozialistischen
Verfolgung. In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der national-
sozialistischen Konzentrationslager, Bd. 1: Die Organisation des Terrors, München 2005, S. 76–90.
Zum ersten „Österreichertransport“ nach Dachau siehe Wolfgang Neugebauer/Peter Schwarz, Sta-
cheldraht, mit Tod geladen
… Der erste Österreichertransport in das KZ Dachau 1938, Wien 2008.
359 Neben Rabinovici siehe auch das 4. Kapitel in Dieter Hecht/Eleonore Lappin-Eppel/Michaela
Raggam-Blesch, Topographie der Shoah. Gedächtnisorte des zerstörten jüdischen Wien, Wien
2015, S. 122−138.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918