Seite - 135 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
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„Auswanderungswillige“ standen nicht nur finanziellen Hürden und – wie
nachfolgend gezeigt wird – einem unglaublich bürokratischen Prozedere gegen-
über, ein gravierendes Problem war zudem die Tatsache, dass die Bereitschaft zur
Aufnahme von Jüdinnen und Juden in den Zielländern drastisch nachließ. Dan
Diner beschreibt die Situation der verfolgten jüdischen Bevölkerung als ausweglose
Lage, „die sich zu einem Horrorszenario auswuchs und für die jüdische Katastro-
phe vor der Katastrophe der Massenvernichtung von zentraler Bedeutung werden
sollte: Auswanderung aus dem von den Nazis beherrschten mitteleuropäischen
Bereich ohne ihr adäquate Einwanderungsmöglichkeiten [Hervorhebungen im
Original, Anm.]“.372 Während einige Staaten mittellosen jüdischen Emigrantinnen
und Emigranten die Einreise insgesamt verweigerten (darunter die Schweiz und
Frankreich), ließen die meisten überseeischen Länder im Wesentlichen nur best-
qualifizierte Handwerker und Arbeiter zu.373 Ausgenommen waren jene Kategorien,
die von bereits im Emigrationsland lebenden Verwandten angefordert wurden und/
oder über ein entsprechendes Kapital („Vorzeigegelder“ oder „Landungsgelder“)
verfügten.374 Die größten Erfolgschancen wurden folgenden Möglichkeiten einge-
räumt: mittels Affidavits nach Amerika oder mittels Zertifikaten nach Palästina zu
372 Dan Diner, Die Katastrophe vor der Katastrophe. Auswanderung ohne Einwanderung. In: Dirk
Blasius/Dan Diner (Hg.), Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in
Deutschland, Frankfurt am Main 1991, S. 142.
373 In ihrem mit dem Deutschen Buchpreis 2012 prämierten Roman „Landgericht“ beschreibt Ursula
Krechel die zermürbenden Versuche des Hauptprotagonisten Richard Kornitzers, zu einer Flucht-
möglichkeit zu gelangen und die hohen Anforderungen, die an „Auswanderungswillige“ gestellt
wurden: „Er [Richard Kornitzer, Anm.] rannte von Pontius zu Pilatus, das war ein altes Bild, das
nicht mehr passte, aber vielleicht doch das Beschämende der Situation traf. Etwas musste doch
gelingen. Man drückt ihm ein hektographiertes Blatt in die Hand. Luxemburg: Die Grenze für
Einwanderer und Durchwanderer ist gesperrt. Das Justizministerium der Niederlande teilt mit:
Ein Flüchtling werde in Zukunft als ein unerwünschter Fremdling zu betrachten sein. Das Gene-
ralkonsulat der Vereinigten Staaten in Berlin teilt mit: Infolge der außerordentlich großen Zahl von
Einwanderungsanträgen seien die für die nächste Zeit verfügbaren Quotennummern erschöpft.
Gesucht wurden für die Fidschiinseln: ein jüdischer Pastetenbäcker und ein alleinstehender Uhr-
macher, der nicht jünger als 25 und nicht älter als 30
Jahre sein durfte, für Paraguay ein perfekter,
selbständiger Bonbonkocher, für die Kap-Provinz ein perfekter Kürschner, für Mittelafrika ein
jüdischer lediger Schlächter (spezialisiert auf die Herstellung von grober Cervelatwurst), für San
Salvador ein unverheirateter jüdischer Ingenieur für den Bau elektrischer Maschinen. Am größten
waren noch die Chancen in dem von den Japanern gegründeten Operettenstaat Mandschuko.
Gesucht wurde dort für ein Kabarett ein jüdischer Regisseur, der gleichzeitig Ballettmeister sein
musste und mit der ersten Ballerina als Partner tanzen sollte, und ein Ballett von sechs bis acht
Tänzerinnen, die imstande waren, auch als Solistinnen aufzutreten. Außerdem brauchte man dort
ein jüdisches Damenorchester und eine Pianistin, die auch Akkordeon spielen konnte. Es war
niederschmetternd, am besten wäre der Auswanderungswillige eine eierlegende Wollmilchsau.“
Ursula Krechel, Landgericht, Salzburg 2012, S. 261.
374 „Die Deutschen hatten nur die Ausfuhr von zehn Reichsmark erlaubt, die Kubaner wollten Lan-
dungsgeld sehen und eine Sicherheit zum Vorweisen. Entweder übertrat man die Ausreise-Be-
dingung und machte sich straffällig, oder man machte sich bei der Einreise gleich schuldig, fiel in
ein Loch und wurde zurückgewiesen, dazwischen gab es nichts.“ Ebda., S. 277. Als Beispiele für
„Landungsgelder“ können Australien mit RM 1.924,– (pro Familie, ohne Bürgschaft), Bolivien mit
RM 500, Kanada mit RM 24.600,– (Nichtlandwirte) und Kuba mit RM 1.250,– genannt werden
(Stand Oktober 1938). CAHJP A/W 2596.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918