Seite - 138 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
Bild der Seite - 138 -
Text der Seite - 138 -
138
Einreisegenehmigungen und Devisen beschafft und die Ausreise technisch durchge-
führt werden. Ferner sollten Umschulungsstätten eingerichtet und überwacht sowie
„jüdisch-politische und andere Auswanderungsorganisationen bezüglich ihrer Hal-
tung in der Auswanderungsfrage“ insgesamt beobachtet werden. Alle Parteidienst-
stellen und Behörden wurden angewiesen, sämtliche Auswanderungsansuchen
umgehend weiterzuleiten und „auswanderungslustige (!) Juden“ hatten sich künftig
nur noch an die „Zentralstelle“ zu wenden. In Anbetracht des Bestrebens, alle bishe-
rigen mit der Auswanderung befassten Stellen in einer Einrichtung zusammenzu-
fassen, um dadurch die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung noch schneller und
„effizienter“ zu koordinieren, verwundert es, dass Jüdinnen und Juden auch nach
Gründung der „Zentralstelle“ noch mehrere Behörden aufsuchen mussten, darunter
das Finanzamt, die Bezirkshauptmannschaft und das Rathaus zum Begleichen der
Steuern, das Palästina-Amt, die IKG bzw. die „Aktion-Gildemeester“ zum Besorgen
der Fragebögen bzw. letztere zwei zur Bemessung der so genannten „Passumlage“384,
das Polizeiamt, den Amtsarzt etc.385 Dass alle erforderlichen Dokumente an nur
einer Stelle besorgt werden konnten, entsprach offensichtlich ebenso wenig den
Tatsachen, wie die Behauptung Eichmanns, die Beschaffung von Pässen würde
nur mehr acht Tage und die eines polizeilichen Führungszeugnisses höchstens 48
Stunden dauern. Die Hoffnung auf eine schnellere Passerledigung, die vor allem
deshalb wichtig war, weil Reisepässe von Jüdinnen und Juden laut Verordnung vom
7. Oktober 1938 nur dann gültig waren, wenn sie mit einem „J“ gekennzeichnet
wurden, und der Wunsch nach einer insgesamt vereinfachten Abwicklung der For-
malitäten erklärt, warum die Gründung der „Zentralstelle“ von jüdischer Seite nicht
ausschließlich auf Ablehnung stieß. Tatsächlich blieben die meisten Hindernisse
jedoch vor allem deshalb bestehen, weil die Wiener Institution
– wie Anderl kons-
tatiert
– in der Phase der forcierten Auswanderung im Grunde nichts anderes als ein
Pass- und Abgabenamt war, das sich weder um Ausreisegenehmigungen kümmerte,
noch irgendeine Art von beratenden Funktionen erfüllte.386 Von Relevanz waren
ausschließlich die Planung und konsequente Realisierung einer radikalen Vertrei-
bungs- und Plünderungspolitik, deren von Eichmann „perfektionierte“ Techniken
zum Maßstab für weitere „Zentralstellen“ im von Deutschland besetzten Europa
wurden und den Begriff des „Wiener Modells“ prägten.387
384 Die „Passumlage“ war die einzige Steuer, die tatsächlich von der „Zentralstelle“ vorgeschrieben
und vereinnahmt wurde und diente „der Förderung der jüdischen Auswanderung“ bzw. vor allem
der Unterstützung unbemittelter Auswanderinnen und Auswanderer. Bemessungsgrundlage für
Jüdinnen und Juden deutscher Staatsangehörigkeit war das gesamte in- und ausländische Barver-
mögen mit Stichdatum 1. Januar 1938. Vgl. Anderl/Rupnow, Zentralstelle, S. 251–257.
385 Das mühselige Unternehmen, eine Steuerunbedenklichkeitserklärung zu erhalten, veranschau-
licht etwa der Erfahrungsbericht von Oskar Hirschfeld (20. 12. 1938). Zit. in: Ben Barkow/Raphael
Gross/Michael Lenarz (Hg.), Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Lib-
rary, London-Frankfurt am Main 2008, S. 823 f.
386 Ebda., S. 355.
387 Nach Wiener Vorbild wurde in Berlin Anfang 1939 sowie in Prag im Sommer 1939 eine lokale
„Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ geschaffen.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918