Seite - 151 - in Land der Verheißung – Ort der Zuflucht - Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
Bild der Seite - 151 -
Text der Seite - 151 -
151
gestanden waren und nur im Einzelfall zionistisch erzogen worden waren, war das
Vorbereitungsprogramm aus der Retrospektive häufig ein signifikantes Erlebnis.426
Die Jugend-Alijah427 wurde 1932 von Recha Freier (1892–1984), der Frau des
von 1926 bis 1939 in Berlin tätigen Rabbiners Moritz Freier (1889−1969) ins Leben
gerufen und zielte einerseits darauf ab, jüdische Jugendliche im Alter von 15 bis
17
Jahren, die in Deutschland im Erwerbsleben zunehmend diskriminiert wurden,
auszubilden und ihnen zu einer beruflichen Zukunft zu verhelfen. Andererseits
bezweckte das Programm, junge Jüdinnen und Juden mit den zionistischen Inhalten
und mit Palästina vertraut zu machen und dem Land damit qualifizierte Arbeits-
kräfte zuzuführen, die für den Aufbau dringend benötigt wurden. Vorgesehen war
eine einjährige, vorrangig landwirtschaftliche Schulung in Hachscharah-Lagern, an
die nach der Einwanderung in Palästina eine zweijährige Arbeit zumeist in einem
Kibbuz, einem Moschaw oder einer WIZO-Lehrfarm anschloss. Nachdem Freier
bereits 1932 eine Kindergruppe ins Jugenddorf Ben Schemen428 gebracht hatte,
gaben die politischen Ereignisse ein Jahr später den Ausschlag, das Konzept der
Jugend-Alijah auszubauen und auf einer breiteren Basis umzusetzen. Ihre Ideen
stießen zunächst sowohl bei den Eltern und Pädagogen als auch bei Teilen der
zionistischen Bewegung auf Skepsis und Widerstand. Die Jewish Agency könne
sich nicht um die Erziehung von Kindern kümmern, ebenfalls solle die Kultivie-
rung des Landes nicht Jugendlichen, sondern ausgebildeten Fachkräften anver-
traut werden.429 Erst mit der zur Organisation der deutschen Alijah eingerichteten
„Deutschen Abteilung“ innerhalb der Jewish Agency konnte mit der Realisierung
des Vorhabens begonnen werden. Als Generalsekretär in Jerusalem fungierte der
Deutsche Hans Beyth (1901–1947); Henrietta Szold (1860–1945), Erzieherin und
Gründerin der amerikanisch-zionistischen Frauenorganisation „Hadassah“, wurde
mit der Leitung in Palästina betraut, Recha Freier mit jener in Deutschland. Letz-
tere richtete 1933 in Berlin die „Jüdische Jugendhilfe“ ein, die die Auswahl der
den verschiedenen zionistischen Jugendbünden angehörenden Jugendlichen sowie
die Organisation der Hachscharah und der Reise nach Palästina vornahm. Die
426 Vgl. Victoria Kumar, Das Ausbildungs- und Fluchtprogramm der Jugend-Alijah
– Retrospektiven.
In: Das Ende der Kindheit? Jüdische Kindheit und Jugend ab 1900 (Juden in Mitteleuropa. Zeit-
schrift des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, Ausgabe 2014) S. 44–53.
427 Das Kapitel zur Jugend-Alijah stützt sich in erster Linie auf die Ausführungen bei Anderl, Emigra-
tion, S. 218–276; auf einzelne Unterkapitel bei Rosenkranz, Verfolgung; sowie auf Aktenbestände
des CZA und CAHJP; siehe außerdem Recha Freier, Let the children come. The early history of
Youth Aliyah, London 1961; Brian Amkraut, Between home and homeland. Youth Aliyah from
Nazi Germany, Tuscaloosa 2006; ferner das von Herbert Rosenkranz geführte Interview mit Yehuda
Brott (Juda Weissbrod), Jerusalem 1977, YVA, O-3/3912; sowie allgemein zur Flucht der jüdischen
Jugend aus Deutschland während des Nationalsozialismus Walter Laqueur, Geboren in Deutsch-
land. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933, Berlin-München 2000.
428 Das Kinder- und Jugenddorf Ben Schemen wurde 1927 vom Berliner Pädagogen Siegfried Leh-
mann zur Unterbringung von jüdischen Waisen gegründet und nahm sich das Konzept der Wal-
dorfschule zum Vorbild. Siehe dazu Siegfried Lehmann, Eine jüdische Kinderrepublik in Palästina.
Das Kinder- und Jugenddorf Ben Schemen. In: Palästina, Jg. 13 (1930) Nr. 3, S. 73–79.
429 Susanne Urban, Die Jugend-Alijah 1932–1940. Exil in der Fremde oder Heimat in Erez Israel?
In: Kindheit und Jugend im Exil – Ein Generationenthema (= Exilforschung. Ein Internationales
Jahrbuch, Bd. 24), München 2006, S. 35.
Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Titel
- Land der Verheißung – Ort der Zuflucht
- Untertitel
- Jüdische Emigration und nationalsozialistische Vertreibung aus Österreich nach Palästina 1920 bis 1945
- Autor
- Victoria Kumar
- Verlag
- Studienverlag Ges.m.b.H.
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7065-5419-0
- Abmessungen
- 15.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 216
- Schlagwörter
- Palestine/Israel, Aliyah/Zionism, Jewish history of Austria, National Socialism in Austria, Palästina/Israel, Alijah/Zionismus, Jüdische Geschichte Österreichs, Nationalsozialismus in Österreich
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918