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I d i o d i s m e n u n d I d i o t i k a . 2 5
Id iot ismen und Idiot ika. Idiotismen, diese Mundarten der
gewöhnlichen geselligen Lebens, welche sich durch Eigenheiten im Aus-
drucke auszeichnen, die von dem individuellen Volkscharakter ausge-
hen und sich wieder im Gebiethe des Allgemeinen entwickeln, tragen zu
dem Reichthums des Sprachschatzes ungemein bey, da sich im Munde
des Volkes für jeden neuen oder neu zusammengesetzten Begriff, auch ein
neuer, meistens sehr passender Ausdruck bildet. Da sich nun das mensch-
liche Gemüth in den vielerley Abstufungen von Mittheilung nach allen
Seiten wendet und allenthalben Bilder zur Darstellung seiner Ideen sucht
und findet, so versteht sich von selbst, daß gerade die lebendige Umgangs-
sprache jedes Volkes, der schwierigste und wichtigste Theil jeder Sprache
ist und daher das meiste und nothigste Studium erfordert. Zu diesem
Zwecke hat man Idiotiken, d. i. Wörterbücher, welche nur die ei-
ner gewissen Gegend, Provinz oder Landschaft eigenthümlichen Wörter,
Redens- und Spracharten (Idiotismen, Dialecte) enthält. Der ö'sterr.
Kaiserstaat ist, nur was deutsche Sprache betrifft, von welcher hier al-
lein die Rede seyn wird, sehr reich an verschiedenen, mitunter ungemein
wohlklingenden und bezeichnenden Idiotismen, so wie an zweckmäßigen
Werken zur Erklärung derselben. Selbst in einer, und derselben Provinz
gibt es verschiedene Dialecte, so besonders in Österreich unter der
Enns; und selbst in Wien , wo in vielen Zirkeln das reinste Deutsch ge-
sprochen wird, hört man im gewöhnlichen Leben, besonders aber an gewis-
sen Localitäten ganz eigenthümliche Mundarten, deren genaue Beobach-
tung manchem Schriftsteller schwerergeworden ist, als er vielleicht selbst
glaubte. So haben z. B. Castel l i , Se id l , in ihren sonst äußerst schä-
henswerthen Leistungen, den Wienerdialect mit der Sprache des sogenann-
ten platten Landes und endlich jenen der Gebirgsbewohner auf so sonder-
bare Weise zusammengemischt, wie man es nie auf gewöhnliche Art im
Munde eines Individuums zu hören bekommen möchte. Ein Beyspiel für
hundert: Da Baua beyn Koasa seina O rang hei t. Nur der Ge-
birgsbewohner, kaum der sogenannte Waldbauer (in der Nähe von Wien)
sagt Koasa, nie aber Granghei t , sondern Gro'ngat. Die Mund-
art des Unterö-sterreichers, eine Tochter der oberdeutschen, erkennt man an
einer breiten, tiefen und bequemen Aussprache, an dem Hange zu
hauchenden und zischenden Consonanten, an einem ruhigen, wirk-
lich oft gemüthlichen, vollen Tone. Alles abgeschnittene, kurze meidet
der Österreicher und scheint umschweifende Ausdrücke zu lieben, so ist
die halbvergangene Zeit aus dem Munde des gemeinen Volkes durch-
aus verbannt. Die Vermeidung harter Endungen und Umschaffung der-
selben in weiche z. B. au f f i statt hinauf, aobi statt herab;c. schreibt
sich vielleicht von der Nachbarschaft der südlichen Länder, wo sich die
Töne des rauhen Nordens allgemach zum Wohllaut, wenn auch auf
Kosten de- Kraft bilden. Eine besondere Eigenheit des gemeinen Land-
volkes und selbst noch der gemeineren Einwohnerclaffen der Hauptstadt,
mindestens deren Vorstädte, ist eine gewisse Abneigung gegen die hochdeut-
sche Sprache. Wer mit diesen Leuten im guten Einverständnisse leben/ wer
an ihnen die Grundzüge des wahren Nationalcharaktevs erproben oder be-
nutzen wil l , ist beynahe gezwungen, sich die österreichische Mundart ei«
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe I-M, Band 3
- Titel
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Untertitel
- Buchstabe I-M
- Band
- 3
- Autoren
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Verlag
- H. Strauß
- Ort
- Wien
- Datum
- 1835
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.3 x 22.0 cm
- Seiten
- 768
- Schlagwörter
- Nachschlagewerk, Biografien
- Kategorien
- Lexika National-Enzyklopädie