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hielten, und die sich überall ähnelnden grausamen Verfolgungen, die ge-
wöhnlich bald nach ihrer Einwanderung erfolgten, können in diesem La-
byrinthe als Wegweiser dienen. Die erste Nachricht eines solchen Prä-
rogativs und solcher Verfolgung der I. in Böhmen sindet sich erst gegen
das Ende des 1l). Jahrhunderts und von diesem Zeitpuncte können wir
daher ihren Aufenthalt allda erst für historisch gewiß annehmen. Hagek
berichtet, daß sie 995 unter Boleslaus I I . wegen ihrer mannhaften
Vertheidigung gegen die Heiden die Erlaubniß zur Errichtung einer Sy-
nagoge erhielten. Frühere Spuren ihres Daseyns in Böhmen finden
sich wohl noch in älteren Chroniken, doch ermangeln diese Angaben aller
historischen Authenticität. Ein Gewinn für historische Forschung wäre
es, wenn der „Entwurf einer Geschichte der Juden in Böhmen," den
der gelehrte Piarist A d a u c t V o i g t i m Manuscript zurückgelassen hat,
das sich in der Ordensbibliothek zu Niko lsburg in Mahren befindet,
dem Drucke übergeben würde.— 1053 unter Sp i t ignew wurden die
I. aus der Hauptstadt verwiesen, 1067 aber wieder aufgenommen, wo
sie unter dem Schlosse Wissehrad sich ansiedelten, bis ihr, von den Au-
gen des Neides und der Habsucht immer vergrößerter, Wohlstand sie
1091 wieder neuen Verfolgungen und Vertreibungen preisgab. Das;
der angebliche Bekehrungs- und Religionseifer nur Diener des Gelddur:
stos war, beweisen auch, wenn es noch des Beweises bedürfte, die Worte
Wi rb i rgens , der Gemahlinn des mährischen Markgrafens Conrad,
die uns der böhmische Chronist Cosmas aufbewahrte: „Nach Wisse-
hrad ziehe" — sprach die zarte Dame zu ihrem erlauchten Gemahle —
„nirgends kannst Du Dich besser bereichern, dort findest Du an Gold
und Silber strotzende Juden, dort die reichsten Kaufleute aller Nationen,
die gewaltigsten Schatze, nur dort ist der Schauplatz, Deinen Kriegern
reiche Beute zu verschaffen." >— Hierzu kam noch der Fanatismus der
Kreuzfahrer, die auch durch Böhmen zogen s1096), und benutzend die
Abwesenheit des Herzogs Brze t i s law I I . , der in den Krieg gegen
die Polen verwickelt war, rrotz der ernsten Protestationen des damahligen
Prager Bischofes, die wehrlosen Israeliten mit Feuer und Schwert zur
Taufe zu überreden strebten. Nach solch blutigen Episoden gab es
nun wieder Intervalle von Ruhe und einzelne Begünstigungen humaner
Regenten. Die ersten sie schützenden Gesetze erhielten die I. von dem
damahligen Helden des Jahrhunderts, dem tapfern Könige Przemysl
Ot tokar I I . , er bestätigte (1254) nicht nur die gegen den Bekeh-
rungszwang zu ihren Gunsten vom Papste Innocenz lV. erlassene
Bulle, sondern geboth auch, daß sie nur unter königl. Gerichtsbarkeit
stehen; jede Verletzung eines Juden, jede Störung ihres Gottesdienstes
ward unter scharfen Geld- und Leibesstrafen untersagt; wer einen Juden
todte, sollte dem Blutrichter anheimfallen und überhaupt sollten die I.
nicht mit falschen Anschuldigungen belästigt werden. (Diese, sowohl die
damahlige Zeir, wie Ottokar's über seine Zeit ragenden Geist sosehr
characterisirende Urkunde findet sich vollständig in Senken berg's Ur-
kunden-Sammlung, Leipzig 1765, und in dem Anhange eines Versu-
ches zur Geschichte der Israeliten in Böhmen vomHofratheHerrmalin
Ritter von Herrmannsdor f , Wien 1Ü19.) Dieser Lichtstrahl von
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe I-M, Band 3
- Titel
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Untertitel
- Buchstabe I-M
- Band
- 3
- Autoren
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Verlag
- H. Strauß
- Ort
- Wien
- Datum
- 1835
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.3 x 22.0 cm
- Seiten
- 768
- Schlagwörter
- Nachschlagewerk, Biografien
- Kategorien
- Lexika National-Enzyklopädie