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Rettich. — Rettungsanstalt für Scheintodte in Wien. 877
Rettich, Jul ie, geborne Gley, k. k. Hofschauspielerinn im
Theater nächst der Burg in Wien, ist 1805 zu Hamburg gebo«
ren. In frühester Jugend schon fühlte sie unwiderstehliche Neigung zum
Theater. Mir den ausgezeichnetsten Anlagen und einer an Begeisterung
gränzenden Liebe für die darstellende Kunst begabt, genoß sie noch oben-
drein Tie ck's Unterricht, der ihr eminentes Talent erkannte und wür-
digte. Sie betrat in Dresden zuerst die Bühne, und obschon die
Neuheir ihrer Darstellungsweise, die mit keiner irgend einer früheren
Schauspielerinn Ähnlichkeit hatte, und deren Hauptprincip innigesVer-
schmelzen einer Rolle mit ihrer Individualität, Gluth und Begeisterung
ist, anfangs mir dem Gewohnten harte Kämpfe zu bestehen hatte, so
siegte doch bald ihr angebornes Talent, und ihr gebührt unstreitig das
große Verdienst, in der Darstellung tragischer Rollen leine neue Epo-
chegeschaffen, und jenen abgemessenen Bühnen-Pathos, der noch so
ziemlich nach der alten französischen Schule schmeckte, verdrängt, min-
destens dem gebildeten Publicum verleidet zu haben. Besonders sind
ihre Leistungen in der romantischen Tragödie unübertrefflich; sie ent«
wickelt in ihrem Spiele die ganze Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit
des weiblichen Charakters, ihr ist jener poetische Humor, im höhern
Sinne des Wortes eigen, welcher das Rührende, ja Ergreifende mit,
Heiterkeit, ja Frohsinne zu paaren versteht; die Stufenleiter der Em-
psindungen von Iugendfrische und Lebensheiterkeit bis zur Wehmuth,
dem Schmerz der Verzweiflung und dem Wahnsinn hat sie mit den zar-
testen Nuancen vollkommen in ihrer Gewalt, und sie weiß durch deren
richtige Anwendung ungeheure Wirkung hervorzubringen. Ihre Gast-
spiele in H amburg, Be r l i n , Prag und Wien wurden mit en-
thusiastischem Beyfalls aufgenommen; 1328 erhielt sie ein Engagement
an der k. k. Hofbühne, auf welcher sie durch einige Jahre im Besitze der
ersten tragischen Rollen die Gunst des Publicums im höchsten Grade ge-
noß. 1832 vermählte sie sich mit dem Hofschauspieler Rett ich, verließ
bald darauf die Hofbühne, gab in mehreren Städten des I n - und Aus-
landes Gastdarstellungen, die von dem ungetheiltesten Beyfalle begleitet
waren, und begab sich dann nach Dresden, wo sie auf der dortigen
Hofbühne nebst ihrem Gatten engagirt wurde. 1835 kam sie abermahls
nach Wien, trat auf dem Hofburgtheater in mehreren Gastrollen auf,
wobey sie den erfreulichsten Beweis einer noch höhern Vollkommenheit
lieferte, und wurde im October dess. Jahres nebst ihrem Gatten neuer-
dings engagirt, um für die Folge dieser ausgezeichneten Kunstanstalt
anzugehören. Ihre vorzüglichsten Rollen sind: Gretchen in Goethe's
Faust, Desdemona im Othello, Julie im Romeo, Eboli im Don
Carlos u. A. Auch im Lustspiele leistete sie Ausgezeichnetes, obschon
sie leider in diesem Fache fast nie beschäftigt wird.
Rettungsanstalten für Scheintodte, in Wien. Diese wohl-
thä'tigeEinrichtung wurde 1803 zu demZwecke gegründet, durch verschiedene
Unglücksfälle scheinbar todten Individuen die schnellste Rettung zu ver-
schaffen. Seir dieser Zeit müssen die Professoren der Medicin und Chi-
rurgie jährlich besondere Vorlesungen halten, um die dazu nöthigen
Kenntnisse zu verbreiten, auch darf bey den Prüfungen kein Arzt oder
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe N-Sed, Band 4
- Titel
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Untertitel
- Buchstabe N-Sed
- Band
- 4
- Autoren
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Verlag
- H. Strauß
- Ort
- Wien
- Datum
- 1835
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.3 x 22.0 cm
- Seiten
- 660
- Schlagwörter
- Nachschlagewerk, Biografien
- Kategorien
- Lexika National-Enzyklopädie