Seite - 524 - in Österreichische National-Enzyklopädie - Buchstabe See-V, Band 5
Bild der Seite - 524 -
Text der Seite - 524 -
52t Venedig (Stadt).
die Canale gekehrt, die sich zu breiten und langen Gassen öffnen, dage-
gen die eigentlichen Straßen kaum für 3 neben einander gehende Fußgän-
ger gangbar sind. Es gibt zwar 41 öffentliche Plätze, aber nur der mit
Arcaden umgebene und von 2 hohen Säulen geschmückte Marcusplatz
hat eigentlich auf diesen Nahmen Anspruch. Auf ihm steht die alte ma,
jestätische Marcuskirche, einer der berühmtesten christlichen Tempel der
Erde. In ihr sind die Gebeine des Evangelisten Marcus bewahrt,
die Gegenstände eifriger Verehrung und das Ziel unzähliger Wallfah-
ten. Erbaut in.den Jahren 976—l071, ist sie ein Muster der son-
derbarsten Mischung griechischer und morgenländischer Baukunst. Die
herrlichsten Bildwerke des Alterthums (wir nennen nur die berühmten
4 antiken kolossalen Pferde, welche einst in Con st an t.in opel und
neuerlich zu Par is standen, und unter einem Bogen über demHaupt»
eingange aufgestellt sind), zahlreiche Basreliefs, Säulen :c., sind mit
einer gleich großen Menge von Schnitz- und Bildwerken im orientali-
schen und saracenischen Geschmacke aus den kostbarsten Stoffen zur Ver-
zierung und Ausschmückung dieses Tempels verwendet worden. Schon
beym Eintritt in denselben begegnet dem Auge nichts als Gold und
Edelgestein, und der Fuß zaudert, den Agat, Lapis lazuli, Jaspis,
Porphyr, Chalcedon u. s. w. zu berühren, aus denen der Boden, zu
seltsamen Formen und Figuren durch die Kunst der Mosaik vereinigt,
zusammengesetzt ist. Die Wände sind überall mit Goldplatten belegt,
von denen sich in Silber und farbigem Golde, Schnitzwerke von allerley
Gestalten, Vogel, Menschen, ganze Landschaften, Blumen allerArt,
größtentheilS von bewunderungswürdiger Zartheit und Kunst, in bun,
tcm Wechsel erheben. Die ganze Decke ist Mosaik aus Edelsteinen und
dem köstlichsten Marmor. Mitten aus diesem Raume, in bedeutender
Hohe wölben sich 5 Kuppeln (die mittlere größer als alle übrigen) ge-
tragen von 36 Säulen aus orientalischem Marmor. Unter diesen Kup-
peln stehen 5 Altäre, strahlend von Edelsteinen und Gold, in welchen die Ge-
beine von Heiligen verschlossen sind. Der in der Mitte, der größte und
kostbarste, bewahrt die Überreste des Evangelisten in einem Kasten von
Gold, ausgelect mit Rubinen, Saphiren, Smaragden und andern
Edelsteinen. Über dem Altar erhebt sich, auf Säulen von parischem
Marmor, ein Thronhimmel von Ophir, auf welchem die Geschichte
Jesu im byzantinischen Geschmack und in halb erhobener Arbeit höchst
kunstvoll dargestellt ist. Hinter diesem Altare stehen 4 Säulen aus echtem
orientalischen Alabaster, weiß wie Schnee, und fast wie Glas durch-
sichtig. Ausgegraben vor fast einem Jahrtausend, sollen sie einst das
Heiligste des Salomonischen Tempels geschmückt haben. — Vor der
Marcuskirche dehnt sich der Marcusplatz aus. Niemand kann ihn ohne
tiefen gewaltigen Eindruck betreten. Er liegt im Mittelpuncte der einst
so mächtigen Republik, in deren Schoosi die größten Bildungsmittel
der Menschheit, Schifffahrt, Literatur und Kunst die üppigste Pflege
erhielten. Von ihm aus sieht man den Palast des Dogen mit seinen
Bleykammern, Seufzerbrücke, Kerkern, und daneben jene berühmte
Bibliothek, in welche die Schätze der alten Literatur sich flüchteten.
Man steht auf der großen Börse, welche Jahrhunderte lang die Kauf-
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe See-V, Band 5
- Titel
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Untertitel
- Buchstabe See-V
- Band
- 5
- Autoren
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Verlag
- H. Strauß
- Ort
- Wien
- Datum
- 1835
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.3 x 22.0 cm
- Seiten
- 604
- Schlagwörter
- Nachschlagewerk, Biografien
- Kategorien
- Lexika National-Enzyklopädie