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3. HERAUSBILDUNG VON KUNSTKENNERSCHAFT IN DER JUGEND 47
Ludwig anatomische Studien von Augen, die aus runden geometrischen For-
men entstehen. Dieselbe Vorgehensweise wird von einer zu dieser Zeit sehr
bekannten Zeichenschule propagiert, die vom Nürnberger Akademiedirektor
Johann Daniel Preißler verfasste „Durch Theorie erfundene Practic, Oder
Gründlich verfasste Reguln derer man sich als einer Anleitung zu berühmter
Künstlere Zeichen-Wercken bestens bedienen kann“. 1720 erstmals in drei
Teilen erschienen und danach mehrfach neu aufgelegt, kann sie als eine der
populärsten Zeichenlehren des 18. Jahrhunderts bezeichnet werden.136
Zu Beginn stehen einfache geometrische Figuren, Linien, Kreise, Hal-
breise oder Wellen, denen laut Preißler nicht nur die Funktion zukommt, die
Wahrnehmung zu schärfen, sondern gleichzeitig ein brauchbares System zu
liefern, um die zeichnerische Erfassung der Vorlageblätter zu erleichtern.
Die sechzehn Vorlageblätter enthalten schließlich Zeichenvorlagen für Au-
gen, Ohren, verschiedene Kopfstellungen, Hände, Arme oder Beine. Diese
sollten so lange wiedergegeben werden, bis der Schüler sie auswendig, also
aus der Vorstellung zeichnen konnte.
Die Tafeln Preißlers sind in der ehemaligen kaiserlichen Privatbibliothek
zweifach vorhanden. Einmal in einer Ausgabe von 1789, also für den zu be-
handelnden Zeitraum belegbar, sowie als Nachdruck von 1796, welcher der
Kaiserin Maria Theresia, zweiter Ehefrau Franz’ und Mutter seiner Kinder,
vom Herausgeber persönlich zugeeignet ist.
Tatsächlich belegen sowohl Studienblätter der eigenen Kinder als auch
die der Brüder Ludwig und Rudolf, dass diese alle nach Preißlers Zeichen-
akademie arbeiteten. Ein Blatt von Marie-Louise (1791–1847), ältester Toch-
ter Franz’ und spätere Gemahlin Napoleons I., ist bezeichnet mit „Geendigt
den 27. Jänner 1803“ und zeigt die gleichen geometrischen Hilfskonstruktio-
nen für das Nachzeichnen von Augen.137 Es entstand im Alter von zwölf Jah-
ren. Von ihren jüngeren Geschwistern Leopoldine (1797–1826) und Joseph
(1799–1807) haben sich Skizzen aus dem Alter von 7 bzw. 8 Jahren erhalten,
die auf dasselbe Vorlageblatt zurückgehen.138 Die gleichen Übungen existie-
ren auch von der Hand der Brüder des Kaisers, Ludwig und Rudolf.139
Geht man von den Datierungen der Blätter aus, so dürfte der Unterricht
im Zeichnen etwa im Alter von sieben Jahren eingesetzt haben, wobei es für
die ersten Jahre offensichtlich einen gemeinsamen Lehrplan für die weibli-
136 Plank (1997), S. 127.
137 ÖNB, BAG, Pk 477,51b. Auch der älteste Sohn und spätere Kaiser Ferdinand I. zeichnete
nach der gleichen Zeichenschule. Infolge seiner physischen Entwicklung führte er diese
Übungen allerdings erst im Alter von 18 Jahren aus. ÖNB, BAG, Pk 1000,31-43.
138 ÖNB, BAG, Pk 477,78b (Leopoldine) bzw. Pk 477,100a (Joseph).
139 ÖNB, BAG, Pk 4340,63 (Ludwig) bzw. Pk 4340,156 (Rudolf).
Porträtgalerien auf Papier
Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Titel
- Porträtgalerien auf Papier
- Untertitel
- Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Autor
- Patrick Poch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20855-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 326
- Schlagwörter
- Arts, Art Collector, 18th Century, Citizens, Antique Portraits, Kunstsammler, 18. Jahrhundert, Bürger, Antike Porträts, HBJD, European History
- Kategorie
- Kunst und Kultur