Seite - 1 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
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1 Einleitung
DieMuseumslandschaft indenpostsozialistischenTransformationsländernun-
terliegt einem rasantenWandel, der einerseits den Untersuchungsgegenstand
immerwieder vonNeuemeiner abschließendenAnalyse entzieht, der anderer-
seits aber seine Aktualität und politische Brisanz schlagend vor Augen führt.
Als 2012 diesesHabilitationsvorhaben konzipiertwurde,war auf demGelände
des ehemaligen ‚Zigeunerlagers‘LetyuPísku inTschechiendie inden 1970ern
errichteteSchweinefarmnoch invollemBetrieb– trotz internationalerProteste
bis hin zumEuropäischenParlament. Litauengalt als enfant terribleunter den
postsozialistischen Staaten, wenn es um die Aufarbeitung des Zweiten Welt-
kriegs ging. 2008hatte die Justiz noch angedroht, ehemalige jüdische Partisa-
nInnen und Holocaustüberlebende vor Gericht zu stellen, weil sie bei ihren
Sabotageakten gegen die NS-Besatzer die litauische Bevölkerung gefährdet hät-
ten.Erst 2018entschloss sichLitauenzueinerArt verbalerAbrüstungund folgte
dabei demBeispiel der lettischenundestnischenOkkupationsmuseen:DasMu-
seum der Genozidopfer in Vilnius, das lange Zeit ausschließlich dem sowjeti-
schen ‚Genozid‘ an den LitauerInnen gewidmetwar, benannte sich inMuseum
derOkkupationenundderFreiheitskämpfeum.NurdieWeitblickendstenhatten
geahnt, dassViktorOrbáneine „illiberaleDemokratie“ (Orbán 2018) plante und
alle Erinnerungsorte nach dem Vorbild des geschichtsrevisionistischen Hauses
des Terrors ausrichtenwollte, als Ungarn die Geschichtspolitik der Fidesz-Partei
inderVerfassungverankerte. InPolenwarendasMuseumderGeschichtederpol-
nischen Juden inWarschau und dasMuseumdes ZweitenWeltkriegs in Gdańsk
noch nicht eröffnet und die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) noch lange
nichtwiederanderRegierung.Kein„Holocaust-Gesetz“reglementiertedasThema-
tisierenpolnischerMittäterschaft imNationalsozialismus.
ImVordergrundmeinerStudiestehtdasGedenkmuseumals tragendeSäule,
als Flaggschiff der Geschichtspolitik (Schmid 2009) des jeweiligen Landes im
Kontext transnationaler politischer Prozesse. Kämpfe umHegemonie und Deu-
tungshoheit und ihr Niederschlag in der „Identitätsfabrik“Museum (Korff und
Roth 1990) bilden also denKernderUntersuchung.Die hier relevantestenAus-
handlungsprozesse sind jene im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen zwischen
derEUunddenBeitrittskandidatensowieaufnationalerEbenezwischenderam-
tierendenRegierungunddenoppositionellen,marginalisiertenodergarstillgestell-
ten Gegenerzählungen. Das Interesse gilt vor allem auch der politischen Kultur
(Salzborn 2018, 51):MitwelchenMittelnwirddasdominanteGeschichtsnarrativ
als dieGeschichte inszeniert?Welche Unterschiede bestehen zwischen solchen
Aushandlungsprozessen in pluraleren Erinnerungskulturen demokratischer Ge-
OpenAccess.©2021LjiljanaRadonić,publiziertvonDeGruyter. DiesesWerk ist lizensiert
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https://doi.org/10.1515/9783110722055-001
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918