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1920–1944 (Rév 2018), folglich die Abwehr der ungarischenVerantwortung für
denHolocaust undwählt nach tagespolitischenKriterien aus,welchen inlän-
dischenTätern es die Schuld zuschreibt und externalisiert einenGroßteil der
VerantwortungaufDeutschlandunddieSowjetunion. (Bartuschka2005, 198)
Das Gebäude gehörte im 19. Jahrhundert einem jüdischen Maler (Mihok
2005, 165),dientespäteralsZentraleundFoltergefängnisderungarischenNazi-
kollaborateure,derPfeilkreuzler, die imOktober 1944andieMachtkamen,16und
ab 1945 folterte dort die sozialistische Staatssicherheit. Die überwältigendeMehr-
heit der Publikationen setzt sich kritischmit demMuseumauseinander, nur ein
wissenschaftlicher Text betontwohlwollenddie „positive Funktion“ (A. Kapitány
undG.Kapitány2008)desNein-SagenszumTerror.Oftwirdkritisiert,dasMuseum
setzedenNS-undPfeilkreuzlerterrormit jenemdesStaatssozialismusgleich,doch
seien der NS-Ära bloß zweieinhalb von über zwanzig Räumen gewidmet.17 (Mar-
sovszky 2002;Fritz 2006, 312;Blutinger 2010,83)Auchwirdverschleiert, dassdie
meisten ungarischen Jüdinnen und Juden im Sommer 1944, also lange vor der
Machtergreifung der Pfeilkreuzler-Bewegung, noch unter Horthy deportiert wur-
den. (SeewannundKovács2006a,53) JudenwerdenalsAnführerdeskommunisti-
schenSystemsnach 1945/48dargestellt (Shafir 2005, 22),währendnicht erwähnt
wird, dass viele von ihnen auch zu den Opfern dieses Regimes gehörten. (Rév
2008, 65; Ungváry 2006, 214) ‚Die Ungarn‘werden vor allem als Opfer begriffen
(Kerékgyártó 2006, 302), auchdiejenigen, die zunächstNS-Kollaborateurewaren,
sofernsienur späterOpferder sozialistischenRepressionwurden. (Buden 2009,
196)Viele kritisierendie schrilleÄsthetik derAusstellung. (Kovács 2003, 164;
Ostow 2008, 8; Rév 2008, 73) Es sei nicht leicht erkennbar, welche Objekte
(wennüberhaupt)Originale seien,wasNachbildungen (Virag 2006; 106;Rátz
2006, 247) und es sei unerwünscht, eigenständige Fragen zu entwickeln oder
individuelleErfahrungenzumachen(Hwang2009,55),daalleAntwortenund
Empfindungen vorgegeben würden. Vor allem mein Vergleich der Ästhetik
desMuseumsmit internationalen Vorbildern, deren individualisierender Zu-
gang jedoch für denkollektivenOpfermythos insGegenteil verkehrtwirdund
16 EinePublikation, inder fünfmemorialmuseumsauf vierKontinentenanalysiertwerden,
darunter auch das Haus des Terrors, führt vor Augen, wie wichtig der historische Kontext
für die Ausstellungsanalyse ist. Amy Sodaro sitzt einer historisch nicht haltbaren Sugges-
tion desMuseums auf: DieDeportation der jüdischenBevölkerungUngarns nachder deut-
schen Besatzung imMärz 1944 erfolgte nicht erst unter dem imOktober 1944 eingesetzten
NS-Kollaborationsregime der Pfeilkreuzler, sondern im Sommer noch unter Staatsober-
hauptHorthy. (Sodaro 2018, 60)
17 FüreineArtFührungdurchdieRäumlichkeitensieheOláh2016,51–68.
1 Einleitung 13
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918