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Der Preis der Entkontextualisierung sei, dass es „in diesemDiskurs keine Juden
undkeineDeutschenmehrgebendarf.EsgibtnurMenschenundMenschheit,wie
auchausdemBegriff der ‚VerbrechengegendieMenschheit‘undderEntstehung
einesmoralischenund legalenKodexgegen ‚Völkermord‘hervorgeht.“ (Levyund
Sznaider2007,12f)AuchineinemneuerenBuchkritisiertSznaider:„Das jüdische
Gedächtnis ist ausdemeuropäischenDiskursverschwunden.Unddas trotzaller
RitualeundGedenktage!Odervielleichtauchdeswegen.“ (Sznaider2008,7)Laut
Dan Diner tritt an die Stelle des verloren gegangenen historischen Urteilsver-
mögens„einuniversell drapiertermoralisierenderDiskursüberunterschiedslose
Opferschaft.EinsolcherDiskurswirdinletzterKonsequenzvoreinerDekonstruk-
tiondesGedächtnissesandenZweitenWeltkriegebensowenighaltmachenwie
vor der Geltung und Bedeutung des Holocaust.“ (Diner 2007, 8f) Diese ‚unter-
schiedsloseOpferschaft‘wirdauch inDeutschland,demLanddes ‚negativenGe-
dächtnisses‘, in Bezug auf Bombenopfer undVertriebene konstruiert. (Salzborn
2007)Der französischeZeithistorikerHenryRoussodiagnostiziert imZusammen-
hangdamit einen sichbeschleunigendenProzess der „Viktimisierung“bzw. der
„GeschichtsbetrachtungausderOpferperspektive“nachderWendevom20.zum
21. Jahrhundert:
Es ist erstaunlich,wie sehrhistorischeErfahrungenwiederWiderstandgegendenNatio-
nalsozialismus oder die antikolonialen Befreiungskämpfe heute denOpferstatus hervor-
kehren, während sie in der Vergangenheit eher die Figur des Helden bevorzugten (des
Märtyrers, der für eineSachestirbtundsich fürdieGemeinschaft opfert). Eshandelt sich
hierumdenbedeutsamenÜbergangvoneinempolitischenzueinemmoralischenMuster
derVergangenheitsbetrachtung. […] Allerdingshatdie Identifikationmit denOpfern, die
inder traditionellenGeschichtsbetrachtungderStaaten,Sieger,Gelehrtenusw. ja tatsäch-
lichvergessenwurden,heutezurÜberbewertungdieserPerspektivegeführt.
(Rousso2004,374)
DieseEntkontextualisierungderhistorischenEreignisse imZugeder„Universa-
lisierung des Holocaust“ (Eckel undMoisel 2008) als „negative Ikone“ (Diner
2007, 7)derMenschheitund„Container“ fürandereErinnerungen istnureines
der Probleme, die späterewissenschaftlicheWerke thematisieren. Einweiteres
istdieAppropriationeiner transnationalenHolocausterinnerungfürdie jeweili-
geneigenennationalenZwecke. (NivenundWilliams2020,143)
2.3 Die ‚Osterweiterung‘derEuropäisierungderErinnerung
DasVerständnisdesHolocaust als einzigartigesEreignis führt zueinemKonflikt
mit anderenOpfererfahrungen. InKontextdieserUntersuchung ist vor allemdie
Frage relevant,welcheAuswirkungendie ‚EuropäisierungdesHolocaust‘alsne-
2.3 Die ‚Osterweiterung‘derEuropäisierungderErinnerung 25
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918