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gativerGründungsmythosEuropas (LeggewieundLang2011, 15;Uhl2007)aufdie
EU-Beitrittsbemühungen der postsozialistischen Länder hatte.Während amerika-
nische PolitikerInnen in Bezug auf denNATO-Beitritt auf die Bedeutung der ITF
hinwiesen, um sich gemeinsamerWerte und Ziele der NATO-Beitrittskandidaten
zuversichern,28 finden sichkeineBelegedafür, dassEU-Gremieneinenbestimm-
ten Umgangmit demHolocaust offiziell zum Beitrittskriterium gemacht hätten.
Die meisten Beitrittskandidaten traten aber vor oder rund um ihren EU-Beitritt
auchder ITFbei, die sich 2013 in InternationalHolocaust RemembranceAlliance
(IHRA)umbenannte.29GenaudieserProzessderzunächstscheinbardirektenÜber-
nahmedeswesteuropäischenUmgangsmitdemHolocaustwirduntenamBeispiel
derMuseenbeleuchtet.
IndenprominentestenwissenschaftlichenPublikationenzurUniversalisie-
rungundEuropäisierungdesHolocaustbleibtderPunktsehrschwammig, inwie-
ferndieseEntwicklungauchauf ‚Osteuropa‘ zutraf. (Olick2015, x)So schränken
Levy und Sznaider an einer Stelle ein, der Holocaust sei „in vielen westlichen
StaatenzummoralischenMaßstabderUnterscheidungzwischengutundböse
geworden“ (LevyundSznaider 2001, 15), nurumspäterwieder zubehaupten,
die „Kosmopolitisierung desHolocaust“bzw. der Erinnerung daranhabe ihn
zu einem „global gültigenWert“ (Levy und Sznaider 2001, 150) gemacht. Tony
Judt schreibt zwar, für die „Osteuropäer“ sei die Tatsache, dass sich derWesten
amEnde des Jahrhunderts so intensivmit demHolocaust beschäftigte, „äußerst
verstörend“ (Judt2006,955)gewesen,dennEuropamögezwargeeintsein,dieeu-
ropäische Erinnerung bleibe jedoch asymmetrisch. Doch letztlich seien das bloß
„Schatten“ (Judt2006,961),denn„dasneueEuropa,durchdieZeichenundSym-
bole seiner schrecklichen Vergangenheit zusammengeschlossen, ist eine bemer-
kenswerte Leistung.“ (Judt 2006, 966)„Jeder, der zuBeginndes 21. Jahrhunderts
wirklichEuropäerwerdenwill, [muss] zunächsteinneuesundweitbedrückende-
res Erbeauf sichnehmen“. Heute sei „die einschlägige europäischeBezugsgröße
[…] die Vernichtung. Die Anerkennung des Holocaust ist zur europäischen Ein-
trittskarte geworden“ (933), so Judt, ohnedieseKonditionalität zu problematisie-
ren. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie begreift hingegen den Holocaust
als„KerndeseuropäischenGeschichtsbewussteins“:„Darumrankensichkonzen-
28 Sodermit demHolocaust-GedenkenBeauftragte imUS-Außenministerium2003 (zit. n. Kroh
2008,163).
29 AusnahmenwarenmitEstland(2007beigetreten)undSlowenien(2011beigetreten)diebei-
denLänder, die nur eine sehr kleine jüdischeBevölkerunghatten, sowie das erst 2018 beige-
tretene Bulgarien, das lange von sich behauptete, ‚seine‘ jüdische Bevölkerung gerettet zu
haben,ohnedieErmordetenausden ‚neuenbulgarischenGebieten‘MazedonienundThrakien
zuberücksichtigen.
26 2 TheoretischeEinbettung
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918