Seite - 66 - in Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen - Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
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Ein Vertreter des nunmehr für die Gedenkstätte zuständigen Nordböhmi-
schen Kreisnationalausschusses definierte die Aufgaben desMuseums jedoch
auchzudieserZeitentlangdesantizionistischenDiskurses:
One of the greatest [tasks] is the construction of a GhettoMuseum the need ofwhich is
particularly urgent in the period ofmounting Zionismwhose aggressiveness is threaten-
ingworldpeace.Elsewhere in theworldwecan findsomanyproofs that it is imperialism
in particular that supports racism. […]We are preparing to establish amuseumcomme-
moratingconcentrationcampssetupbyfascismallover theworld.Butweshallnot forget
theconcentrationcampsinVietnamandIsraeleither. (Zit.n.Munk2007, 18)
DieVorstellungvonIsraelalseinemneuen ‚faschistischen‘Staat,derwiederNati-
onalsozialismus nun Konzentrationslager betreibe, ist ein typisches Element des
sowjetischen und staatssozialistischen antisemitischen Antizionismus nach 1945
(Haury 2002, 387), der sich in der Dämonisierung undDelegitimierung des jüdi-
schen Staates niederschlägt. Nach der Invasion der Tschechoslowakei durch die
Sowjetunion und andere Staaten desWarschauer Pakts war ein Ghetto-Museum
wieder unmöglich geworden. Die neue Ausstellung sollte stattdessen der Öffent-
lichkeit zeigen,dassdergegenwärtigeZionismuskeineLehrenausdemSchicksal
dervondenNationalsozialistenliquidiertenJudengezogenhabe(Blodig2005,224;
Munk2007, 18), dochauchdiesewurdenicht realisiert. DieMuseumsleitungund
einige MitarbeiterInnen protestierten offen gegen die antizionistische Kampagne
undwurden Ulrike Lunow (2015, 348) zufolge aus diesemGrund in den Jahren
nachdemEinmarschausihrenÄmternentfernt. (Benz2013,236)DieDauerausstel-
lungen aus 1971 und 1975 legten den Fokuswieder ganz auf die Kleine Festung
unddiekommunistischenHäftlinge.(Lunow2015,355)ZweikleineVitrinenimMu-
seum in der Kleinen Festung blieben die einzigen, die an das Ghetto erinnerten.
(Blodig 2005, 226; Benz 2013, 237) Einige vonGhetto-Häftlingen angefertigte und
hier ausgestellte Bilder verwiesen jedoch implizit weiter auf das Ghetto. (Lunow
2015,358) Imbereits fürdasMuseumgeräumtenGebäudewurdestattdesseneine
ständige Ausstellung über die „Geschichte der Nationalen Sicherheitsbehörden
unddernordböhmischen revolutionärenTradition“mitMarmorbödenundKris-
talllusterneingerichtet–demspäterenDirektor JanMunk (2008, 75) zufolgeum
zuverhindern,dassdort einGhetto-Museumeingerichtetwird. EineGedenktafel
wurdeamGebäudeangebracht,dieandie inderStadt Inhaftiertenerinnerte, je-
dochohnezuerwähnen,dassessichumJüdinnenundJudengehandelthatte.
Die Diskursanalyse der sieben Museumsführer aus der staatssozialistischen
ÄraoffenbartabereindifferenzierteresBildalsdieGeschichtederMuseumsinstitu-
tionvermutenlässt. (Radonić2021)DasGhettowarindenmeistendieserVeröffent-
lichungenmarginalisiert, 1972 etwa in drei Absätzen einer insgesamt 27-seitigen
Publikation behandelt. (Krylová 1972b) Doch die jüdischen Opfer wurden immer
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Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918