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dischen höchstens vom „existierenden Regime“ (Múzeum SNP 1990, 9). Überra-
schenderweise spieltDemokratie alspositivesKonzeptüberhauptkeineRolle.Die
TschechoslowakeiderZwischenkriegszeit istzwarvorallemwegender„Ideetsche-
choslowakischerStaatlichkeit“ (MúzeumSNP1990,4)positivbesetzt,doch ihrde-
mokratischer Charakter bleibt unerwähnt. Personae non gratae tauchen aus der
Versenkungauf,etwader inderZwischenkriegszeitbedeutendeslowakischeKom-
munist undDichterVladimír Clementis, der denKrieg imWestenverbrachte und
in den 1950ern in derČSSR verfolgt und 1952 imRahmen des Slánský-Prozesses
hingerichtetwurde (MúzeumSNP1990, 6), der 1950exekutiertePartisanenanfüh-
rerViliamŽingor (MúzeumSNP1990, 23)oderderLeiterderMoskauerMilitärmis-
sion General Heliodor Píka, der 1949wegen des Vorwurfs des Landesverrats
hingerichtetwordenwar.
ZumerstenMalwerdennichtnur„rassistischVerfolgte“,sondernauchexplizit
die „rassistischeVerfolgung jüdischer und Zigeuner-Bürger“ (MúzeumSNP 1990,
4) erwähnt, jedochnichtweiter erörtert. Ineiner imJanuar 1990,alsobereits zwei
Monatenachder ‚SamtenenRevolution‘eröffnetenSonderausstellungpräsentierte
dasMuseum100FotografienvondenBefreiungenderKonzentrationlagerAusch-
witz,Majdanek,Dachau,Sachsenhausen,MauthausenundBuchenwald. (Sniegon
2017, 175) Das ThemaderAusstellungwar die ErniedrigungmenschlicherWesen
durch die dem Faschismus entstammende Gewalt. Die Ausstellung wurde zwar
rundumden JahrestagderBefreiungvonAuschwitz eröffnet, dochdieEthnizität
derOpferwurdenichtangegebenundsomitdas realsozialistischeNarrativweiter-
geführt. 1992 veranstaltete dasMuseumzusammenmit israelischenHistorikerIn-
nen tschechoslowakischer Abstammung, der bekannteste von ihnen Yehuda
Bauer, sowieÜberlebenden anlässlich des 50. Jahrestags derDeportation der
slowakischen Jüdinnenund JudeneineKonferenzüber die „Tragödie der slo-
wakischen Juden“, bei der derhistorischeAblauf chronologischnachgezeich-
net wurde. (Tragédia slovenských židov 1992, zit. n. Sniegon 2017, 176) Eine
Auseinandersetzungmit demnationalistisch-katholischenNarrativ gab es je-
dochnicht53und inderAusstellungbliebderHolocaustweiterhinunerwähnt.
(Sniegon2017, 178)
DasMuseumundder Guide aus 1990 entscheiden sich also für keine der drei
widerstreitenden Strömungen im slowakischen Staatsbildungsprozess, wenn es um
dieBewertungder sogenannten ,SlowakischenRepublik‘ 1939–1945geht:Weder
53 EinVertreterdiesesnationalistisch-katholischenSpektrumsbeurteilte1990denAufstandwie
folgt:„TheUprisingcannotbe linked to theSlovaknation. Itwascreatedbya fewshortsighted
politiciansandambitiousofficers togetherwithsome fanatical communists and ruthlessoppor-
tunists. It resultedinthenationbeinghumiliatedanddeprivedof itsdignity.Twomonthsof this
idioticuprisingcostabout40,000lives.“ (Vnuk1990,84,zit.n.Sniegon2017,174)
4.2 1990–1999:DieWendeunddieMuseen 75
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918