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vorhandenwaren,wurdedabeiausgespart.Beides,AusstellungenwieAussparun-
gen,wirdspäter imKapitelüberdie2000erJahreerörtert.67
Unter den zehnhier untersuchtenMuseenwardie ersteDauerausstellung,
diedie sowjetischeBesatzungbehandelte,nicht inVilnius, sondern im1993er-
öffnetenMuseumder Okkupation Lettlands in Riga zu finden.68 DasMuseum
wurde in einem ursprünglich glänzend kupferroten (Nollendorfs 2008b, 226),
nunschwarzenblockartigenGebäudeamRathausplatzuntergebracht. (Abb.15)
Darin hatte sich seit dem 100. Geburtstag Lenins 197069 (Blume 2007, 58) bis
1991einPropagandamuseumfürdieRotenLettischenSchützenbefunden,Vor-
kämpfer der kommunistischen Revolution von 1917, die Riga gegen die deut-
scheReichswehrverteidigthatten. (Nollendorfs2008a,280)DessenLeitnarrativ
besagte, dass Letten nicht gegen, sondern für die Rote Armee gekämpft hatten
undstelltedie sowjetischeBesatzungalsBefreiungdar. (Lenss 2006, 50f;Meckl
2016,411) 1993erfolgtedanndie 180-Grad-WendederMuseumsausrichtung,was
auchdie prosowjetische Zeitschrift SovetskajaMolodëž amVorabend derMuse-
umseröffnungetwasmürrischunterdemTitelGeschichte–DienerinderPolitik70
feststellte: „Es stellt sichheraus, dassdasMuseumderLettischenSchützenwei-
terexistieren wird. Doch der düstere Quader hat seinen Inhalt geändert. Alles,
was ‚rot‘war, landete imSpeicher. […] JetztwirddiesesMuseumeineandereAus-
stellung beherbergen – Lettlands 50-jährige Besatzung.“ (Kabanovs 1993) Finan-
ziertwurdedasMuseumsprojektzunächstdurchexil-lettischeSpendenundspäter
auchöffentlicheGelder. (FritzundWezel2009,237;Evans2006,343)
Gegründet wurde das lettische Museum von Paulis Lazda, der das Land
mit seinenEltern1944verlassenhatte (Mark2008,350)undGeschichteprofes-
sor an der Universität vonWisconsin wurde. (Michel und Nollendorfs 2005,
350) Er sah die Anerkennung des „okupācijas fakts“ (Lazda 2003; Radonić
2017, 278–279;Radonić 2018c, 517–518), der Tatsache, dass Lettland 1944von
der Sowjetunion besetzt und nicht befreit wurde, als überlebensnotwendige
Basis fürden jungen lettischenStaat an.DasMuseumsollteLazdazufolgedie
67 Berichte über die Eröffnung finden sich in den ZeitungenRespublika (22.10.1992),Atgimi-
mas (26.10.1992) und Lietuvos aidas (24.10.1992). Einzig die staatliche Zeitung Lietuvos aidas
erwähntauchdieNS-VergangenheitdesGebäudesalsGestapo-Gefängnis.
68 Ich danke Valters Nollendorfs und demMuseum für die Zusendung der Museumsführer
undKatjaWezel fürdenAustauschzulettischenMuseen.
69 Unter StalinhattendieRotenSchützenkeineRolle gespielt, da imstalinistischenNarrativ
einzigRusslanddenKommunismuspopulärhabemachenkönnen.Erst inderpolitischenTau-
wetterperiodeder 1960er Jahrewurdeder lettischeBeitragzursowjetischenGeschichte thema-
tisiertunddieGestaltungdesMuseums1968ausgeschrieben. (Lenss2006,50)
70 Ich danke Inta Lase für ihre Recherche lettischer Zeitungen undÜbersetzungen aus dem
LettischenundRussischen,diesie inmeinemAuftragerstellthat.
92 4 DerZweiteWeltkrieg imMuseum
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918