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narrativ unddieRepräsentation ‚der Slowakei‘ alsOpfer dominieren,während
die Verbrechen des Tiso-Staates zwar korrekt benannt werden, aber keinerlei
Auseinandersetzungmitder Ideologieder regierendenHlinka-Partei stattfindet.
Das slowakischeMuseumverwendet auffällig häufig dasWort ‚Europa‘. Den-
noch erweist sich der Nationalismus keinesfalls als überwunden, wenn dem
NS-KollaborationsregimeTisos, der „SlowakischenRepublik“, in derAusstel-
lung„manypositive results in theareasofeconomy, science, schoolsandcul-
ture“zugestandenwerden.
4.3.1.2 DasGedenkmuseumJasenovacals„ZugpferdnachEuropa“
DieaktuelleAusstellung imkroatischen Jasenovac80 stammtaus2006und ihre
Funktion wurde von einem kritischen kroatischen Journalisten als „Zugpferd
nach Europa“ (Pavelić 2005) bezeichnet. Die kroatischen EU-Beitrittsverhand-
lungen stockten zur Zeit der Ausstellungsplanung aufgrund des Vorwurfs der
mangelndenZusammenarbeitmitdemHaagerTribunal fürdasehemalige Jugo-
slawien (ICTY)beiderSuchenachdemkroatischenGeneralAnteGotovina,der
1995 die Rückeroberung der serbischenKrajina durch kroatische Kräfte befeh-
ligt hatte.81 Nach Tuđmans Tod Ende 1999 hatte es in Kroatien von 2000 bis
2003 ein kurzes Intermezzo einer sozialdemokratisch angeführten Regierung
gegeben. Von 2003 bis 2011 regierte nun aber wieder die ehemalige Tuđman-
Partei, dieHDZ,dasLand,nunmitproeuropäischerAusrichtungunterPremier
IvoSanader.Geschichtspolitik spielte indiesemZusammenhangeinevonman-
chenvöllig offen angesprochene instrumentelle Rolle. Als Sanader 2005 bei der
Gedenkveranstaltung in JasenovacdieUstaša-Verbrechenunmissverständlich
verurteilte, schrieb der Kolumnist Mijić in der links-liberalen Tageszeitung
Novi list:„WäredieseRhetorikfrühererfolgtundlängeraufrechterhaltenworden,
wäre auch unser Bild in derWelt wesentlich positiver gewesen, was auch den
Eintritt indieeuropäischeFamilieerleichterthätte.“82 (Novi list, 25.4.2005;Rado-
nić2014a,499)ZweiMonatespätermeintederselbeMijićanlässlichvonSanaders
80 VomMuseumsgebäude selbst ist hier nie die Rede, weil es sich bei dem Bau aus den
1960er Jahren umeinenunansehnlichen ebenerdigen, funktionalenKlotz handelt, rechts der
Ausstellungsteil ohne Fenster, links der Personaltrakt mit Fenstern, davor neuerdings ein
Raummit großenFenstern fürdieVermittlungsarbeitmitGruppen.AlsBlickfangdienthinge-
gendas vonBogdanBogdanović 1966 errichteteMahnmal inFormeinerBlumeweiter hinten
imGedenkareal.
81 Letztlichwurde Gotovinamithilfe der kroatischen Regierung auf Teneriffa festgenommen
und am ICTY zunächst zur Höchststrafe von 24 Jahren verurteilt, in zweiter Instanz jedoch
freigesprochen.
82 AlleÜbersetzungenausdemKroatischenstammenvonderAutorin.
4.3 Die2000er:DieKommunikationmit ‚Europa‘ 107
Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Titel
- Der Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen
- Untertitel
- Geschichtspolitik zwischen der ‚Anrufung Europas‘ und dem Fokus auf ‚unser‘ Leid
- Autor
- Ljiljana Radonić
- Verlag
- DE GRUYTER
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-072205-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Gedenkmuseen, postsozialistische Transformationsprozesse, Zweiter Weltkrieg, Europäisierung der Erinnerung, Universalisierung des Holocaust, Geschichtspolitik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
- Geschichte Nach 1918