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Rausch der Verwandlung
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Wille oder Kraft hätte, sie wieder aufzuheben. Weich und fast atemlos lehnt sie im Sessel und läßt sich, geschlossenen Auges, überrieseln von dem wunderbar seltenen Gefühl berechtigten Müßigganges. Da plötzlich: Tack! Sie schreckt auf. Und nochmals, härter, metallener, unduldsamer: Tack, Tack, Tack. Der Morse hämmert ungebärdig, das Uhrwerk schnarrt: ein Telegramm – seltener Gast in Klein-Reifling – will respektvoll empfangen sein. Mit einem Ruck reißt sich die Postassistentin aus dem duseligen Faulenzergefühl, springt hin zum Lauftisch und schaltet den Streifen ein. Aber kaum sie die ersten Worte der rundlaufenden Schrift entziffert, braust ihr das Blut hoch bis unters Haar. Denn zum erstenmal, seit sie hier Dienst tut, sieht sie ihren eigenen Namen auf einem telegrafischen Blatt. Sie liest einmal, zweimal, dreimal die nun schon fertig gehämmerte Depesche, ohne den Sinn zu verstehen. Denn wie? Was? Wer telegrafiert da aus Pontresina an sie? »Christine Hoflehner Klein-Reifling, Österreich, aufrichtig willkommen, erwarten dich jederzeit, jeden beliebigen Tag, anmelde nur vorher telegrafisch Ankunft. Herzlichst Claire – Anthony.« Sie sinnt nach: Wer ist diese oder dieser Anthony, der sie erwartet? Hat sich ein Kamerad einen einfältigen Scherz geleistet? Aber dann fällt ihr plötzlich ein, die Mutter hat ihr schon vor Wochen erzählt, die Tante käme diesen Sommer nach Europa herüber, und richtig, die heißt doch Klara. Und Anthony, das muß der Vorname ihres Mannes sein, die Mutter hat ihn nur immer Anton genannt. Ja, und jetzt erinnert sie sich schärfer, vor einigen Tagen hat sie doch selbst einen Brief aus Cherbourg an die Mutter gebracht, und die hat damit geheimnisvoll getan und kein Wort vom Inhalt erzählt. Aber das Telegramm ist doch an sie gerichtet. Soll sie am Ende selbst hinauf nach Pontresina zu der Tante? Davon war doch nie die Rede. Und immer wieder starrt sie den noch unaufgeklebten Streifen an, das erste Telegramm, das sie hier persönlich empfangen, immer wieder überliest sie ratlos, neugierig, ungläubig, verwirrt das merkwürdige Blatt. Nein, unmöglich, bis Mittag zu warten. Gleich muß sie die Mutter fragen, was das alles bedeutet. Mit einem Riß greift sie den Schlüssel, sperrt den Amtsraum ab und läuft hinüber zur Wohnung. In der Erregung vergißt sie, den Hebel des Telegrafenapparats abzustellen. Und so tackt und tackt und tackt im leeren Raum, wütend über die Mißachtung, der messingene Hammer wortlos weiter und weiter auf den leeren Streifen los. Immer wieder erweist sich die Schnelle des elektrischen Funkens unausdenkbar, weil sie geschwinder als unsere Gedanken. Denn diese zwölf Worte, die wie ein weißer, lautloser Blitz im dumpfen Brodem des österreichischen Amtsraums landeten, waren erst wenige Minuten vorher drei Länder weit im blaukühlen Schatten von Gletschern unter einem enzianisch 7
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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