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Rausch der Verwandlung
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meiner Schwester kennenlernen, man hat ja gar keinen Zusammenhang mehr. Hast du etwas dagegen, daß ich sie kommen lasse?« Die Zeitung knisterte ein wenig. Erst stieg ein Havannakringel über die weiße Kante, rund, schön blau, dann erst kam in schwerfälliger und gleichgültiger Stimme nach: »Not at all. Why should I?« Mit diesem lakonischen Bescheid war das Gespräch beendet und ein Schicksal begann. Ein Zusammenhang war erneuert über Jahrzehnte hinweg, denn trotz des beinahe adelig klingenden Namens, dessen »van« nur ein gewöhnliches holländisches war, und trotz der ehelichen englischen Konversation war jene Claire van Boolen niemand anderes als die Schwester der Marie Hoflehner und demnach unbezweifelbar Tante der Postassistentin in Klein-Reifling. Daß sie Österreich vor mehr als einem Vierteljahrhundert verlassen hatte, war im Zuge einer etwas dunklen Geschichte geschehen, an die sie sich – das Gedächtnis ist uns immer gern gefällig – nur ungenau mehr erinnerte und über die auch ihre Schwester ihren Töchtern nie deutlichen Bericht gegeben hatte. Seinerzeit aber hatte die Affaire allerhand Aufsehen erregt und hätte noch größere Folgen gezeitigt, wenn nicht rechtzeitig kluge und geschickte Männer der allgemeinen Neugier einen willkommenen Anlaß entzogen hätten. Zu jener Zeit war jene Frau Claire van Boolen bloß das Fräulein Klara in einem vornehmen Modesalon auf dem Kohlmarkt gewesen, ein simples Probierfräulein. Aber flinkäugig und geschmeidig, wie sie damals war, hatte sie einen ältlichen Holzindustriellen, der seine Frau zur Anprobe begleitete, in verheerender Weise beeindruckt. Mit dem ganzen verzweifelten Ungestüm der Torschlußpanik vernarrte sich innerhalb weniger Tage der reiche und noch ziemlich wohlkonservierte Kommerzialrat in ihre mollige und zugleich lustige Blondheit, und eine selbst in jenen Kreisen ungewöhnliche Freigebigkeit beschleunigte seine Werbung. Bald konnte die neunzehnjährige Probiermamsell, sehr zur Entrüstung ihrer soliden Familien, die schönsten Kleider und Pelze, die sie bisher nur kritteligen und meist anspruchsvollen Kunden vor dem Spiegel vorparadieren durfte, als eigenen Besitz in einem Fiaker spazierenfahren. Je eleganter sie wurde, desto mehr gefiel sie dem ältlichen Gönner, und je mehr sie dem von seinem unvermuteten Liebesglück ganz wirr gewordenen Kommerzialrat gefiel, desto verschwenderischer stattete er sie aus. Nach wenigen Wochen hatte sie ihn so völlig weichgeknetet, daß bei einem Rechtsanwalt in aller Heimlichkeit bereits Scheidungsakten vorbereitet wurden und sie auf bestem Wege war, eine der reichsten Frauen von Wien zu werden – da fuhr die Gattin, durch anonyme Briefe gewarnt, mit einer energischen Dummheit dazwischen. Tollwütig gemacht von ihrer berechtigten Erbitterung, nach dreißig Jahren ungestörter Ehe plötzlich abgehalftert zu werden wie ein lahm gewordenes Pferd, kaufte sie einen Revolver und überfiel das ungleiche Paar bei einer 9
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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