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Rausch der Verwandlung
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ganz auf vornehm abgestimmten Raum. Bis in die Knie fühlt sie den Hieb, da sie so unvermutet ihren gelbgrellen, plustrigen Reisemantel und den verbogenen Strohhut über einem verstörten Gesicht erblickt. »Einschleicherin, weg da! Schmutz nicht das Haus an! Geh hin, wohin du gehörst«, scheint sie der Spiegel anzuherrschen. Wirklich, wie kann ich, denkt sie bestürzt, mich anmaßen, in solchem Zimmer, in dieser Welt wohnen zu wollen! Welche Schande für die Tante! Ich soll nicht große Toilette machen, hat sie gesagt! Als ob ich eine hätte! Nein, ich gehe nicht hinunter, ich bleibe lieber hier. Ich fahre lieber zurück. Aber wie sich verstecken, wie jetzt noch, ehe man mich sieht und Ärgernis nimmt, rechtzeitig verschwinden? Unwillkürlich ist sie auf der Flucht vor dem Spiegel so weit als möglich zurück und bis auf den Balkon getreten. Krampfig die Hand an das Geländer gepreßt, starrt sie in die Tiefe hinab. Ein Ruck und man wäre erlöst. Da donnert von unten kriegerisch noch einmal der Gong. Um Himmels willen! Sie besinnt sich – in der Halle warten ja der Onkel und die Tante, und sie tändelt hier herum. Noch nicht gewaschen hat sie sich, nicht einmal den widerlichen Ausverkaufsmantel abgestreift. Fiebrig schnürt sie den Strohkoffer auf, ihr Toilettezeug herauszuholen. Aber wie sie das Gummibündel aufrollt und alles hinlegt auf die glatte Kristallplatte, die grobe Seife, die kleine kratzige Holzbürste, das sichtbar spottbillige Waschzeug, ist ihr, als breitete sie ihre ganze Kleinbürgerlichkeit abermals höhnisch überlegener Neugier hin. Was wird das Dienstmädchen beim Aufräumen denken, gewiß spottet sie gleich unten dann beim Gesinde über den bettelhaften Gast; eine erzählt’s der andern, alle wissen es gleich im Haus, und man muß an ihnen vorbeigehen, täglich vorbeigehen, mit rasch niedergeschlagenem Blick und das Tuscheln im Rücken spüren. Nein, da kann die Tante nicht helfen, das läßt sich nicht verstecken, das sickert durch. Überall, bei jedem Schritt wird eine andere Naht aufreißen, blank und bloß wird jeder durch Kleid und Schuh ihre nackte Schäbigkeit sehen. Aber nur weiter jetzt, die Tante wartet, und der Onkel, hat sie gesagt, wird leicht ungeduldig. Was anziehen? Gott, was tun? Zuerst will sie die Bluse nehmen, die von der Schwester geliehene, aus grüner Kunstseide, aber gräßlich frech und ordinär scheint ihr jetzt, was gestern in Klein-Reifling noch das Prunkstück ihrer Garderobe gewesen. Lieber noch die einfach weiße, weil sie unauffälliger ist, und dann noch die Blumen aus der Vase: vielleicht, daß sie vor die Bluse gehalten, die Blicke ablenken mit ihrem heißen Geleucht. Dann, die Augen niederschlagend, hastig an allen Gästen im Stiegenhaus vorbei, nur um die Angst, betrachtet zu werden, rasch zu überrennen, flattert sie die Treppen hinab, blaß, atemlos, einen taumeligen Schmerz zwischen den Schläfen und mit dem schwindeligen Gefühl, wachen Leibes in eine tödliche Tiefe zu stürzen. 32
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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