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Rausch der Verwandlung
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Köstlichkeiten gewiß, zartmundend und leicht. Mit welchem aber aus dem vorgelegten Dutzend der Bestecke diese fremden Dinge anfassen? Mit dem kleinen oder dem runden Löffel, mit dem zierlichen oder dem breiteren Messer? Wie sie zerteilen, ohne vor diesem bezahlten Beobachter, vor den geübten Nachbarn unentrinnbar zu verraten, daß man zum erstenmal im Leben in einem derartig vornehmen Restaurant speist? Wie keine grobe Ungeschicklichkeit begehen? Umständlich, um Zeit zu gewinnen, entfaltet Christine die Serviette und schielt dabei unter schräg gesenkten Lidern auf die Hände der Tante, um ihr jede Bewegung nachzutun. Gleichzeitig aber muß sie den freundlichen Fragen des Onkels Antwort stehen, dessen eingedicktes Holländischdeutsch wache Ohren will, um so mehr, als er immer breite Brocken Englisch mit einstreut; alle Tapferkeit muß sie einsetzen in diesem Kampf gegen zwei Fronten, und dabei meint ihr Minderwertigkeitsgefühl, beständig im Rücken ein Tuscheln zu hören und imaginär höhnische oder mitleidige Blicke der Nachbarschaft. Die Angst, ihre Armut, ihre Unerfahrenheit zu verraten vor dem Onkel, vor der Tante, vor dem Kellner, vor irgendeinem der Anwesenden im Saal, die Anstrengung, bei zitterndster Anspannung gleichzeitig sorglos, ja sogar heiter zu plaudern, macht ihr die halbe Stunde zur Ewigkeit. Bis zum Obst kämpft sie sich wacker durch; dann bemerkt endlich, ohne sie zu verstehen, die Tante ihre Konfusion: »Kind, du bist müde, ich sehe dir’s an. Kein Wunder übrigens, wenn man die ganze Nacht durchreist in einem dieser miserablen europäischen Waggons. Nein, schäm dich nicht, leg dich nur ruhig in deinem Zimmer eine Stunde schlafen, dann ziehen wir los. Nein, wir versäumen nichts, auch Anthony ruht immer nach Tisch.« Sie steht auf und schiebt ihr den Arm unter. »Komm nur jetzt hinauf und leg dich hin. Dann bist du frisch und wir können einen festen Spaziergang machen.« Christine atmet tief und dankbar. Eine Stunde sich verstecken zu dürfen hinter geschlossener Tür, ist eine gewonnene Stunde. »Nun, wie gefällt sie dir?« fragt, kaum auf dem Zimmer gelandet, die Gattin ihren Anthony, der sich bereits Rock und Weste für die Siesta aufknöpft. »Sehr nett«, gähnt der Umfängliche, »ein nettes Wiener Gesicht … Ach, gib mir das Kopfkissen herüber … Wirklich sehr nett und bescheiden. Nur – I think so at least – ein wenig dürftig finde ich sie angezogen … so … ich weiß nicht, wie das sagen … wir haben so etwas gar nicht mehr bei uns … und ich meine, wenn du sie hier vor den Kinsleys und den andern als unsere Nichte einführst, müßte sie doch präsentabler dressen … Könntest du ihr nicht aushelfen aus deiner Garderobe?« »Da – ich hab schon den Schlüssel in der Hand.« 34
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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