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Rausch der Verwandlung
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Seite - 35 - in Rausch der Verwandlung

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Frau van Boolen lächelt. »Ich bin selbst erschrocken, wie ich sie in dem Aufzug in das Hotel hereinstapfen sah … es war reichlich kompromittabel. Und dabei hast du nicht den Mantel gesehen, gelb wie ein ausgeronnenes Ei, wirklich ein Prachtstück, den könnte man in einem Laden mit indianischen Curios ausstellen … Die Arme, wenn sie ahnte, wie botokudisch sie ausstaffiert ist, aber mein Gott, woher soll sie es wissen … sie sind alle dort in Österreich ja ganz down durch diesen verdammten Krieg, du hast doch gehört, was sie selbst erzählt hat, noch nie ist sie drei Meilen weit über Wien hinaus, noch nie unter Leute gekommen … Poor thing, man merkt ihr’s an, daß sie sich hier fremd fühlt, ganz verschreckt geht sie herum … Aber laß nur, verlaß dich auf mich, ich zäum’ sie schon anständig auf, ich hab’ genug mit, und was fehlt, kaufe ich noch in dem englischen Store; es wird niemand was merken, und warum soll sie es nicht einmal extra gut haben die paar Tage, das arme Ding.« Und während schon der ausgemüdete Gatte auf der Ottomane schläfert, hält sie Musterung in den beiden großen Hängekoffern, die wie Karyatiden fast wandhoch im Vorraum des Appartements stehen. Frau van Boolen hat die vierzehn Tage Paris nicht ausschließlich in Museen verbracht, sondern auch reichlich bei den Couturiers: es raschelt im Gehänge von Crêpe de Chine, Seide und Batist, ein Dutzend Blusen und Kostüme holt sie hintereinander vor und tut sie wieder zurück, sie prüft, erwägt, überzählt, es wird ein umständlicher, aber eigentlich erheiternder Fingerspaziergang durch schillernde und schwarze, über zarte und schwerfließende Roben und Stoffe, ehe sie sich entschließt, was sie der kleinen Nichte überlassen soll. Endlich bauscht sich auf dem Sessel ein schillernder Schaum von dünnen Kleidern und allerhand Kleinkram von Strümpfen und Wäsche; mit einer Hand läßt sich die ganze leichte Last aufheben und hinüber in Christines Zimmer tragen. Aber wie die Tante mit ihrer Überraschung anrückt und die Türe leise aufklinkt, meint sie im ersten Augenblick, das Zimmer sei leer. Das Fenster steht weit offen in die Landschaft hinein, die Sessel leer, der Schreibtisch leer; schon will sie die Kleider auf einen Sessel hinlegen, da entdeckt sie Christine auf dem Sofa schlafend. Der ungewohnte Wein, aus Verlegenheit hastig ausgetrunken und aus gutmütigem Spaß immer wieder gleich vom Onkel erneut, hatte ihr den Kopf merkwürdig schwer gemacht. Nur hinsetzen hatte sie sich wollen auf das Sofa und nachdenken, sich alles ausdenken, aber dann, ohne daß sie es merkte, hatte die Schläfrigkeit ihr den Kopf sanft auf die Kissen niedergebogen. Immer macht die Hilflosigkeit des Nichtsvonsichwissens einen Schlafenden für andere entweder ergreifend oder leise lächerlich. Wie die Tante sich auf den Fußspitzen Christine nähert, ist sie ergriffen. Im Schlaf hat die Verängstigte beide Arme über die Brust gezogen, als ob sie sich schützen 35
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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