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du fürs Engadin brauchst.«
»Aber Tante«, atmet ganz erschüttert die Erschreckte. »Wie komme ich
denn dazu … Ich darf dir doch nicht so viele Auslagen machen. Auch das
Zimmer ist viel zu kostspielig für mich, wirklich, ein einfaches Zimmer hätte
reich genügt.« Doch die Tante lächelt nur und sieht sie prüfend an. »Und
dann, Kind«, erklärt sie diktatorisch, »führe ich dich zu unserer
Verschönerungskünstlerin, die wird dich einigermaßen zustutzen. Einen
solchen Schopf wie du tragen bei uns nur noch die Indios. Paß auf, wie du den
Kopf gleich freier trägst, wenn dir die Mähne nicht mehr in den Nacken
hängt. Nein, keine Widerrede, das verstehe ich besser, laß mich nur machen
und sorg dich nicht. Und jetzt richte dich zusammen, wir haben massenhaft
Zeit, Anthony sitzt bei seinem Nachmittagspoker. Abends wollen wir dich
ihm ganz frisch aufgebügelt präsentieren. Komm, Kind.«
In dem großen Sportgeschäft sausen sofort Schachteln aus den Stellagen,
ein schachbrettartig gewürfelter Sweater wird gewählt, ein Gürtel aus
Sämischleder, der die Taille straff aufspannt, ein Paar feste rehbraune Schuhe,
scharf und neu duftend, eine Kappe, knapp anliegende bunte Sportstrümpfe
und allerlei Kleinigkeiten – dafür darf Christine dann in der Probierkammer
die verhaßte Bluse wie eine schmutzige Rinde von sich abstreifen, und in
einer Pappschachtel wird die mitgebrachte Armut unsichtbar verstaut.
Sonderbare Erleichterung überkommt sie, wie die widrigen Sachen
verschwinden, als wäre ihre eigene Angst in dem Paket für immer versteckt.
In einem anderen Geschäft kommen noch ein paar Abendschuhe, ein leicht
fließender Seidenschal und ähnliche Zauberdinge dazu; ganz unerfahren
staunt Christine das neue Wunder dieser Art von Einkaufen an, dies Kaufen
ohne Frage nach dem Preis, ohne die ewige Angst vor dem »zu teuer«. Man
wählt, man sagt ja, man denkt nicht nach, man sorgt sich nicht, und schon
schnüren sich Pakete und fliegen, von geheimnisvollen Boten besorgt, in das
Haus. Noch ehe man recht gewagt hat zu wünschen, ist der Wunsch schon
erfüllt: unheimlich ist das und doch berauschend leicht und schön. Christine
gibt sich dem Wunderbaren ohne weitere Gegenwehr hin, sie läßt die Tante
schalten und walten und sieht immer nur ängstlich weg, sobald die Tante aus
der Tasche Banknoten holt, und bemüht sich rasch wegzuhören, den Preis
nicht zu hören, denn es muß ja so viel sein, so unausdenkbar viel, was für sie
ausgegeben wird: in Jahren hat sie nicht so viel verbraucht wie hier in der
halben Stunde. Nur wie sie aus dem Geschäft gehn, kann sie nicht mehr an
sich halten, faßt zuckend in überströmender Dankbarkeit den Arm der
Spenderin und küßt ihr die gütige Hand. Die Tante lächelt in ihre rührende
Verwirrung. »Aber jetzt noch den Skalp! Ich führe dich zur Friseurin und
gebe inzwischen drüben bei Freunden meine Karte ab. In einer Stunde bist du
frisch aufgebügelt, dann hol’ ich dich ab. Paß auf, wie die dich zurichtet,
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Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik