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Rausch der Verwandlung
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Seite - 43 - in Rausch der Verwandlung

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verzögern! Mit plötzlichem Mut holt sie tief Atem wie zu einem Sprung, dann hebt sie entschlossen den Blick gegen das harte Glas. Hebt ihn und erschrickt sofort, erschrickt so tief, daß die Überraschung sie unwillkürlich einen Schritt zurückstößt. Denn wer ist das? Wer diese schlanke, diese noble Dame, die, den Oberkörper zurückgebogen, den Mund halboffen, die Augen grell aufgetan, sie mit ehrlicher und unverkennbarer Überraschung anstarrt? Ist sie das selbst? Unmöglich! Sie sagt es nicht, sie spricht es wissentlich nicht aus. Aber unwillkürlich hat das gewollte Wort ihr die Lippen bewegt. Und wunderbar: auch drüben im Spiegelbild bewegen sich die Lippen. Der Atem stockt ihr vor Überraschung. Nicht einmal im Traum hat sie gewagt, sich so herrlich, so jung zu denken, so geschmückt; ganz neu dieser rote, scharf eingesetzte Mund, die fein gezogenen Augenbrauen, der plötzlich frei leuchtende Nacken unter dem goldgeschwungenen Helm des Haares, ganz neu die eigene nackte Haut in dem glitzernden Rahmen des Kleides. Immer näher tritt sie heran, um ihr Selbst in diesem Bildspiel zu erkennen, und obwohl sie sich in dem Spiegel weiß, wagt sie dies andere Ich nicht als wahr und dauerhaft anzuerkennen, immer wieder hämmert Angst in den Schläfen, bei dem nächsten Zoll Nähe, bei einer brüsken Bewegung könnte das beglückende Bild zerfließen. Nein, es kann nicht wahr sein, denkt sie. Man kann sich nicht dermaßen plötzlich verändern. Denn wenn es wirklich wahr wäre, dann wäre ich ja … Sie hält inne, sie wagt nicht das Wort zu denken. Aber da beginnt das Spiegelbild, den Gedanken erratend, innerlich zu lächeln, ein erst leises, dann immer stärker aufblühendes Lächeln. Nun lachen die Augen ganz offen stark und stolz aus dem dunklen Glas sich selber entgegen, und die aufgelockerten roten Lippen scheinen erheitert zuzugestehen: »Ja, ich bin schön.« Hinreißend, sich so anzusehen, sich zu bestaunen, zu bewundern, zu entdecken, in einem bisher unbekannten Gefühl der Selbstverliebtheit seinen Körper zu betrachten, zum erstenmal zu merken, wie die befreite Brust sich straff und schön unter der Seide spannt, in wie schlanker und gleichzeitig weicher Linie sich die Formen in den Farben zeichnen, wie leicht und locker die nackten Schultern aus diesem Kleide blühn. Neugier kommt über sie, diesen Körper, diesen unvermutet neuen und schlanken, nun auch in der Bewegung zu sehen. Langsam dreht sie sich zur Seite, ganz langsam und überprüft gleichzeitig, das Profil rückgewandt, die Wirkung der Bewegung: wieder begegnet der Blick im Spiegel einem stolzen zufriedenen Bruderblick. Das macht sie kühn. Jetzt drei Schritte zurück: auch die rasche Bewegung ist schön. Jetzt wagt sie eine rasche Pirouette, daß die kurzen Röcke fliegen, und wieder lächelt der Spiegel: »Ausgezeichnet! Wie schlank, wie geschickt du bist!« Am liebsten möchte sie tanzen, so versucherisch zuckt es ihr in den Gelenken. Sie eilt bis zur Tiefe des Zimmers zurück und schreitet wieder dem 43
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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