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»Tadellos. Dir paßt eben alles. Dich gut auszustaffieren, müßte für einen
Mann ein Vergnügen sein. Aber jetzt komm! Wir können Anthony nicht
länger warten lassen. Wird der Augen machen!«
Sie gehen zusammen die Treppe hinab. Wunderlich ist Christine dieses
Niedersteigen in dem entblößenden neuen Kleid. Als ob sie nackt ginge, so
leicht fühlt sie sich, man geht gar nicht, man schwebt, und ihr ist, als höbe
Stufe um Stufe sich ihr gleitend entgegen. Auf dem zweiten Treppenabsatz
des Stockwerks begegnen sie einem älteren Herrn im Smoking, das straffe
weiße Haar auf dem Scheitel wie mit einem Messer geteilt. Er grüßt
respektvoll die Tante, bleibt stehen, um die beiden vorbeizulassen, und in dem
knappen Vorbei spürt Christine sein besonderes Anschauen, einen männlich
bewundernden und beinahe ehrfürchtigen Blick. Sofort fühlt sie Wärme in
den Wangen: noch nie in ihrem Leben hat sie ein Mann von Rang, ein
wirklicher Herr so respektvoll distanziert und gleichzeitig so wissend
anerkennend gegrüßt. »General Elkins, du kennst wohl den Namen vom
Krieg her, Präsident der Geographischen Gesellschaft in London«, erklärt die
Tante. »Er hat zwischen seinen Dienstjahren große Entdeckungen in Tibet
gemacht, ein berühmter Mann, den muß ich dir noch vorstellen, das Beste
vom Besten, er verkehrt bei Hof.« Christine braust das Blut vor Glück. Ein so
vornehmer, weitgereister Mann, und er hat sie sofort nicht als Zaungast, als
verkleidete Dame erkannt und verachtet, nein, er hat sich verbeugt vor ihr wie
vor einer Adeligen, wie vor einer Gleichwertigen. Jetzt erst fühlt sie sich
legitimiert.
Und abermals Bestärkung. Auch der Onkel, kaum sie sich dem Tisch
nähern, stutzt auf. »Oh, das ist aber eine Überraschung. Nein, wie du dich
herausgemacht hast! Verdammt gut – oh pardon, ich wollte sagen: famos gut
siehst du aus.« Abermals fühlt sich Christine vor Wohlbehagen erröten, bis
ins Rückgrat spürt sie den warmen rieselnden Schauer. »Ich glaube, Onkel, du
willst mir am Ende noch Komplimente machen«, versucht sie zu spaßen.
»Aber kräftig«, lacht der alte Herr, und ohne daß er es weiß, plustert er sich
auf. Die zerknitterte Hemdbrust spannt sich plötzlich gerade, seine
Onkelbehäbigkeit ist verschwunden, in seinen kleinen rotgeränderten, ganz in
die Fettwangen verpolsterten Augen funkelt ein neugieriges und beinahe
begehrliches Licht. Das Vergnügen an diesem unerwartet hübschen Mädchen
macht ihn ungewöhnlich munter und beredt; mit so vielen fachmännischen
Feststellungen über ihr Aussehen legt er betrachtend los, daß die Tante seine
etwas neugierig detaillierende Begeisterung heiter abwinkt, er möge ihr nicht
den Kopf verdrehen, das würden Jüngere besser und taktvoller besorgen.
Inzwischen sind die Kellner servierend angerückt: wie Ministranten zur Seite
des Altars stehen sie, das Zeichen der Zustimmung erwartend, respektvoll
neben dem Tisch. Sonderbar, denkt Christine, wie konnte ich mich mittags
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Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik