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Rausch der Verwandlung
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Da setzt die Musik wieder ein, dunkeltöniger jetzt, zärtlicher, weicher, eine Schleppe aus schwarz glitzernder Seide schleift sie dahin: ein Tango. Der Onkel macht ein hilfloses Gesicht, sie müsse ihn entschuldigen, aber diesem biegsamen Tanz hielten seine siebenundsechzigjährigen Beine nicht mehr stand. »Aber nein, Onkel, mir ist tausendmal lieber, hier bei euch sitzen zu dürfen«, sagt sie und ist aufrichtig dabei, rechts und links zärtlich die beiden Hände haltend. Sie fühlt sich so wohl in diesem pochenden Kreis verwandten Blutes und vollkommen sicher in ihrer schützenden Hut. Aber da schattet eine Verbeugung vor ihr, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, das scharfrasierte kriegerische Gesicht bergsonnenbraun über dem Schneepanzer des Smokings. Er klappt auf deutsche Art die Hacken und bittet in einem blanken Norddeutsch die Tante korrekt um Verstattung. »Aber gern«, lächelt die Tante, selber stolz auf den rapiden Erfolg ihres Schützlings. Betroffen, mit ein wenig schwankenden Knien steht Christine auf. Die Überraschung, unter all diesen vielen schönen geschmückten Frauen von einem fremden eleganten Mann gewählt zu sein, hat ihr wie mit einem leichten Hammer auf das Herz geschlagen. Einen starken Atemzug noch aus der verwirrten Brust, dann legt sie dem vornehmen Mann ihre zitternde Hand auf die Schulter. Vom ersten Schritt an fühlt sie sich leicht und herrisch zugleich von diesem tadellosen Tänzer geführt. Nur nachzugeben braucht sie dem kaum fühlbaren Druck, und schon schmiegt sich ihr Leib in seine Biegung und Bewegung hinein, nur folgsam hingeben muß sie dem aufschmelzenden und weich mit sich ziehenden Rhythmus, und gleichsam magisch findet der Fuß richtig den Schritt. So hat sie nie getanzt, und sie staunt selbst, wie leicht es ihr wird. Als sei ein anderer Leib ihr plötzlich geworden unter dem andern Kleid, als hätte sie dies hinschmiegende Bewegen gelernt und geübt in einem vergessenen Traum, so vollendet mühelos folgt sie dem fremden Willen. Traumhafte Sicherheit ist plötzlich über ihr; den Kopf zurückgelehnt wie auf ein wolkiges Kissen, die Augen halb geschlossen, die Brüste zart bebend unter dem seidigen Kleid, völlig abgelöst und nicht mehr sich selber gehörig, fühlt sie sich zu ihrem eigenen Staunen durch den Saal gewichtlos schweben. Manchmal, wenn sie aus diesem strömenden Wogen ihres Hingetragenseins zu dem nahen und fremden Gesicht den Blick aufhebt, meint sie, zufrieden zustimmendes Lächeln in diesen harten Pupillen glitzern zu sehen, und ihr ist, als faßte sie dann immer mit vertrauterem Drucke die fremde, führende Hand. Eine kleine, kribbelige und fast wollüstige Angst flackert ihr unbestimmt im Blut: wie, wenn solche harte männische Hände fester ihre Gelenke packten, wenn dieser Fremde mit dem hochmütigen und hart gehämmerten Gesicht sie plötzlich anfaßte und an sich risse, könnte man sich da wehren? Würde man nicht völlig hinstürzen und nachgeben wie jetzt bloß dem Tanz? Ohne daß sie es ahnt, strömt etwas von der Sinnlichkeit solchen halbbewußten Gedankens in ihre immer lockerer nachgebenden Glieder. Schon blicken aufmerksam 49
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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