Seite - 49 - in Rausch der Verwandlung
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Da setzt die Musik wieder ein, dunkeltöniger jetzt, zärtlicher, weicher, eine
Schleppe aus schwarz glitzernder Seide schleift sie dahin: ein Tango. Der
Onkel macht ein hilfloses Gesicht, sie müsse ihn entschuldigen, aber diesem
biegsamen Tanz hielten seine siebenundsechzigjährigen Beine nicht mehr
stand. »Aber nein, Onkel, mir ist tausendmal lieber, hier bei euch sitzen zu
dürfen«, sagt sie und ist aufrichtig dabei, rechts und links zärtlich die beiden
Hände haltend. Sie fühlt sich so wohl in diesem pochenden Kreis verwandten
Blutes und vollkommen sicher in ihrer schützenden Hut. Aber da schattet eine
Verbeugung vor ihr, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, das
scharfrasierte kriegerische Gesicht bergsonnenbraun über dem Schneepanzer
des Smokings. Er klappt auf deutsche Art die Hacken und bittet in einem
blanken Norddeutsch die Tante korrekt um Verstattung. »Aber gern«, lächelt
die Tante, selber stolz auf den rapiden Erfolg ihres Schützlings. Betroffen, mit
ein wenig schwankenden Knien steht Christine auf. Die Überraschung, unter
all diesen vielen schönen geschmückten Frauen von einem fremden eleganten
Mann gewählt zu sein, hat ihr wie mit einem leichten Hammer auf das Herz
geschlagen. Einen starken Atemzug noch aus der verwirrten Brust, dann legt
sie dem vornehmen Mann ihre zitternde Hand auf die Schulter. Vom ersten
Schritt an fühlt sie sich leicht und herrisch zugleich von diesem tadellosen
Tänzer geführt. Nur nachzugeben braucht sie dem kaum fühlbaren Druck, und
schon schmiegt sich ihr Leib in seine Biegung und Bewegung hinein, nur
folgsam hingeben muß sie dem aufschmelzenden und weich mit sich
ziehenden Rhythmus, und gleichsam magisch findet der Fuß richtig den
Schritt. So hat sie nie getanzt, und sie staunt selbst, wie leicht es ihr wird. Als
sei ein anderer Leib ihr plötzlich geworden unter dem andern Kleid, als hätte
sie dies hinschmiegende Bewegen gelernt und geübt in einem vergessenen
Traum, so vollendet mühelos folgt sie dem fremden Willen. Traumhafte
Sicherheit ist plötzlich über ihr; den Kopf zurückgelehnt wie auf ein wolkiges
Kissen, die Augen halb geschlossen, die Brüste zart bebend unter dem
seidigen Kleid, völlig abgelöst und nicht mehr sich selber gehörig, fühlt sie
sich zu ihrem eigenen Staunen durch den Saal gewichtlos schweben.
Manchmal, wenn sie aus diesem strömenden Wogen ihres Hingetragenseins
zu dem nahen und fremden Gesicht den Blick aufhebt, meint sie, zufrieden
zustimmendes Lächeln in diesen harten Pupillen glitzern zu sehen, und ihr ist,
als faßte sie dann immer mit vertrauterem Drucke die fremde, führende Hand.
Eine kleine, kribbelige und fast wollüstige Angst flackert ihr unbestimmt im
Blut: wie, wenn solche harte männische Hände fester ihre Gelenke packten,
wenn dieser Fremde mit dem hochmütigen und hart gehämmerten Gesicht sie
plötzlich anfaßte und an sich risse, könnte man sich da wehren? Würde man
nicht völlig hinstürzen und nachgeben wie jetzt bloß dem Tanz? Ohne daß sie
es ahnt, strömt etwas von der Sinnlichkeit solchen halbbewußten Gedankens
in ihre immer lockerer nachgebenden Glieder. Schon blicken aufmerksam
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Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik