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Rausch der Verwandlung
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Seite - 56 - in Rausch der Verwandlung

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hinauf, vielleicht hier gleich den Weg mit den leichten, gartenhaft gekiesten Serpentinen, er kann nicht schwer sein, und wirklich, er geht, er läuft sich spielleicht: voll Überraschung spürt die Ungeübte, wie freudig gehorsam die Gelenke ihr mit einmal in den Knien federn, wie der Weg mit seinen bequemen Wendungen, wie die leichte, tragende Luft ihr gleichsam von selbst den Körper nach oben reißt. Herrlich, wie rasch solcher Sturm das Blut wärmt. Sie reißt die Handschuhe, den Sweater, die Mütze ab: nicht nur die Lippe, die Lunge, auch die pochende Haut soll diese aufstachelnde Frische atmen. Je rascher sie läuft, um so mehr übt und beschwingt sich der Schritt. Eigentlich sollte sie stehen bleiben, denn das Herz schmettert heftig gegen die Brust, Pulse pochen in den Ohren, die Schläfen ticken, und herrlich auch, eine Sekunde rastend, von dieser ersten Kehre hinabzuschauen, Wälder, die Dampfaus den Strähnen schütteln, die Straßen weiß liniert in das pralle Grün, der Fluß, krumm und blank wie ein Türkensäbel, und drüben jetzt durch die Gipfelscharte die plötzlich aufgebrochene, goldene Schleuse der Morgensonne. Herrlich, sie fühlt es im hitzigen Empor, aber der Schwung des eigenen Laufes duldet keine Unterbrechung, vorwärts, vorwärts! rattert die fanatische Trommel im Herzen, vorwärts! Vorwärts! drängt der angerissene Rhythmus in Muskel und Sehnen, und so springt, so klettert der angefeuerte Leib berauscht von der eigenen Spannung weiter und weiter, sie weiß nicht wie lange, sie weiß nicht wie hoch, sie weiß nicht wohin. Endlich, nach einer Stunde vielleicht, an einem Aussichtspunkt angelangt, wo sich der Vorsprung des Berges rund wie eine Rampe wölbt, wirft sie sich nieder ins Gras: genug! Genug für heute. Wirbelig ist ihr zu Mut und sonderbar wohl, unter den Augenlidern zuckt und tickt das Blut, scharf, als wollte sie zerreißen, brennt die vom Winde massierte Haut, aber alle diese Körpergefühle, obwohl sie schmerzähnlich, spürt die von sich selbst Berauschte als eine Art unbekannter und neuer Lust, wie nie spürt sie sich jung und lebendig in diesem umgerüttelten Tumult ihres Leibes. Nie hat sie das geahnt, daß ihr eigenes Blut so heftig die Adern durchströmen kann, sie so stoßhaft wild und lustvoll dehnen, nie die Behendigkeit, Gestrafftheit ihres jungen Körpers so wissentlich gefühlt als in dieser maßlos guten, rauschhaft rumorenden Müdigkeit. Überschüttet von Sonne, überschwemmt vom weißen wirbeligen Bergwind, die Hände wohlig eingewühlt in eisig duftendes Alpenmoos, Wolken über sich in nie erträumtem Blau und unten die panoramisch aufgehende Schau, so liegt sie da, wohlig von sich selbst betäubt und berauscht, wach und träumend zugleich das eigene brausende Ich genießend und den stürmischen Andrang der Welt Eine Stunde liegt sie so da, eine Stunde oder zwei, bis die Sonne zu scharf an die Lippen brennt. Dann springt sie auf, rafft noch rasch ein paar taukalte Blumen mit klirrenden kleinen, in den Blättern versteckten Eiskristallen zusammen, Wacholder, Enzian, Salbei, und eilt hinab. Erst geht sie noch rhythmisch rasch und 56
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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