Seite - 59 - in Rausch der Verwandlung
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wunderbar.« Die Tante sieht sie bewundernd an. »Du Teufelsding! Gleich
vom Bett aus ungefrühstückt in die Berge! Da könnte sich unsereins ein
Beispiel nehmen, das täte besser als alle Massagen. But look, Anthony, sieh
dir sie nur einmal an, nicht zum Wiedererkennen. Der ist die Luft gründlich in
die Wangen gefahren. Du glühst ja ganz, Kind! Aber jetzt erzähl auch, wo du
das alles hergeholt hast.« Und Christine erzählt und merkt nicht, wie rasch,
wie gierig und unziemlich viel sie dabei ißt. Die Butterschale, Honig und Jam
leeren sich unheimlich schnell, zwinkernd winkt der alte Herr dem leise
lächelnden Kellner, den Brotkorb mit den weißen schmackhaften Kipfeln
abermals zu füllen. Aber sie beachtet, ganz in ihre Begeisterung verloren, gar
nicht das immer breitere Schmunzeln der beiden über ihren barbarischen
Appetit, sie spürt nur, wie wohlig ihr die frostübertauten Wangen aufbrennen.
Den Körper entspannt, kauend, schwätzend, lachend lehnt sie sich
unbekümmert in den Strohfauteuil zurück, die guten Gesichter der beiden
machen ihr immer neuen Mut, ungestüm prasselt sie ihre aufgestaute
Begeisterung heraus, und plötzlich, ganz den erstaunten Zublick der Nachbarn
vergessend, spannt sie mitten im Erzählen die Arme weit auseinander: »Ach
Tante, mir war, als wüßte ich überhaupt zum erstenmal, was Atmen heißt.«
So mächtig angerissen, strömt der ganze Tag an immer andern Ufern der
Entzückung leidenschaftlich weiter. Um zehn Uhr, sie sitzt noch am
Frühstückstisch, kein Stück Weißbrot liegt mehr im Körbchen, dermaßen
gründlich hat ihr Berghunger aufgeräumt, erscheint General Elkins in seinem
scharf schnittigen Sportdress und mahnt zur versprochenen Autofahrt. Hinter
ihr respektvoll schreitend, geleitet er sie zu seinem Wagen – vornehmste
englische Marke, spiegelnd in Nickel und Lack, der Chauffeur, helläugig und
wohlrasiert, selbst ein englischer Gentleman; General Elkins macht ihr den
Sitz bequem, breitet Decken über, dann erst, noch einmal besonders den Hut
lüftend, nimmt er an ihrer Seite Platz. Dieser Respekt macht Christine ein
wenig wirr, als Betrügerin fühlt sie sich vor der betonten und fast demütigen
Höflichkeit dieses Mannes. Wer bin ich denn, denkt sie, daß er mich so
behandelt? Mein Gott, wenn ei je ahnte, wie ich sonst sitze, hingenagelt auf
den alten Postsessel vor dem Postpult, eingeschraubt in dumme, niedrige
Handlangerei! Aber ein Ruck am Volant und schon federt die schnell
wachsende Geschwindigkeit jede Erinnerung fort. Mit kindlichem Stolz
bemerkt sie, wie in den engen Straßen des Kurorts, wo der Motor seine
gedrängte Kraft noch nicht loslegen kann, die fremden Leute bewundernd
aufblicken zu der selbst hier auffallend vornehmen Marke des Wagens, wie
mit einem leichten und ehrfürchtigen Neid allerhand Blicke sich zu ihr als der
vermeintlichen Besitzerin heben. General Elkins erklärt ihr die Landschaft
und gerät als gelernter Geograph wie alle Fachleute dabei in
Ausführlichkeiten, aber die vorgebeugte, lauschende, sichtlich aufmerksame
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Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik