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Rausch der Verwandlung
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empfinden, als wollten sie um Nachsicht bitten, nicht mehr jung zu sein. Christine ist merkwürdig gerührt von diesem Blick. Irgendwie muß sie auf einmal an ihren Vater denken und wie sie es liebte, dem alten gebeugten Mann manchmal zart und beinahe fromm über das weiße Haar zu streichen: es war derselbe Blick dankbar gütigen Aufschauens. Am Rückweg spricht Lord Elkins wenig, er scheint nachdenklich, irgendwie heimlich erregt. Wie sie wieder beim Hotel vorfahren, springt er mit beinahe betonter Gelenkigkeit voraus aus dem Wagen, um dem Chauffeur zuvorzukommen und ihr persönlich beim Aussteigen zu helfen. »Ich danke Ihnen sehr für den schönen Ausflug«, sagt er, ehe sie die Lippe regen kann, um ihm zu danken, »es war der beste für mich seit langer Zeit.« Begeistert erzählt sie der Tante bei Tisch, wie gütig, wie freundlich, General Elkins gewesen. Die nickt anteilnehmend: »Gut, daß du ihn etwas aufgeheitert hast, er hat viel Unglück gehabt, seine Frau ist ihm jung gestorben, während er auf seiner Expedition in Tibet war. Noch vier Monate hat er ihr jeden Tag geschrieben, weil ihn die Nachricht nicht erreichte, erst als er zurückkam, fand er uneröffnet den ganzen Stoß Briefe. Und sein einziger Sohn ist vom Flugzeug bei Soissons von den Deutschen abgeschossen worden, am gleichen Tage, wo er selbst verwundet wurde. Jetzt lebt er allein auf seinem riesigen Castle bei Nottingham. Ich verstehe, daß er so viel reist, er flüchtet eigentlich ununterbrochen vor diesen Erinnerungen. Aber laß ihn nichts merken, sprich nicht davon, er bekommt gleich Tränen in die Augen.« Christine hört ergriffen zu. Daran hat sie gar nicht gedacht, daß es auch hier oben in dieser halkyonischen Welt Unglück geben kann. Aus ihrem eigenen Erleben hat sie gemeint, alle Menschen müßten hier glücklich sein. Am liebsten möchte sie aufstehen und dem alten Mann, der seine geheime Trauer mit so viel Haltung verbirgt, die Hand drücken. Unwillkürlich sieht sie hinüber zum andern Ende des Speisesaals. Dort sitzt er soldatisch aufgestrafft, völlig allein. Zufällig hebt auch er den Blick, und wie er dem ihren begegnet, grüßt er leise mit einer Verbeugung. Sie ist erschüttert über sein Einsamsein in diesem weiten, von Licht und Luxus strahlenden Raum. Wirklich, man sollte gut sein zu einem so guten Menschen. Aber wie wenig Gelegenheit bleibt hier an einen einzelnen zu denken, zu rasch strömt die Zeit, zu viel unvermutete Überraschungen wirbelt sie mit in ihrem heitern Sturz: nicht eine Minute, die nicht in ihrem fließenden Tropfen Zeit neue Beglückung spiegelte. Nach Tisch, Tante und Onkel gehen in ihr Zimmer zu kurzer Nachmittagsrast, will Christine in einem dieser weichen angepaßten Fauteuils der Terrasse still sitzen, um endlich einmal die erlebte Verwandlung nachsinnend zu genießen. Aber kaum sie sich hinlehnt, die Bilder des überfüllten Tages nun in träumerisch sanfterer Ordnung langsamvorüberziehen zu lassen, steht schon ihr Tänzer von gestern, der 61
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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