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Rausch der Verwandlung
Seite - 65 -
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Seite - 65 - in Rausch der Verwandlung

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Erschrocken hält Christine die zwei Scheine und den silbernen Taler im Nest der zusammengekrampften Finger. Sie kann es noch nicht glauben. Ganz entgeistert starrt sie oben im Zimmer immer wieder die beiden ihr in die Hand geschneiten regenbogenfarbigen rechteckigen Papiere an und an. Zweihundertfünfundfünfzig Franken, sie überrechnet rasch, rund dreihundertfünfzig Schilling vier Monate, ein Dritteljahr muß sie daheim arbeiten, um so furchtbar viel zusammenzubekommen, in ihrem Amt muß sie pünktlich sitzen von 8 bis 12, von 2 bis 6, und hier fließt das einem mühelos in zehn Minuten in die Hand. Kann das wahr sein und gerecht? Unfaßbar! Aber die Scheine knistern in den Fingern giltig und gut und gehören ihr, der Onkel hat es gesagt, ihr, ihrem neuen Ich, dieser neuen unfaßbaren andern in ihr. Diese knisternde Banknote, noch hat sie auf einmal so hohen Betrag nie ihr eigen genannt. Ein gemischtes Gefühl schauert ihr über den Rücken, Rieseln im Mark, halb Schauer, halb Lust, wie sie ängstlich und zärtlich zugleich diese knisternden Scheine im Koffer verschließt und versteckt, als wären sie gestohlen. Denn nicht kann ihr Gewissen ganz die Zwiefältigkeit begreifen, daß dies schwere dunkle Geld, Nickelstück um Nickelstück zu Hause mit sparsam ängstlicher Hand zusammengerafft, hier so flatternd leichtfertig einem zufliegt; ein ängstlich wilder Schauer wie vor einem Frevel verwirrt und beunruhigt ihr ganzes Wesen bis in die unterst unbewußten Schächte des Gefühls, etwas in ihr möchte sich’s erklären, aber dazu bleibt keine Zeit, sie muß sich ankleiden, ein Kleid wählen, eines der köstlichen drei, und wieder hinab in den Saal, sich fühlen, erleben, berauschen, tief untertauchen in das feurig schöne Geström der Verschwendung. In einem Namen wirkt geheimnisvolle Kraft der Verwandlung; wie ein Ring um den Finger, scheint er vorerst nur zufällig und unverpflichtend gelegt, aber ehe das Bewußtsein seiner magischen Kraft gewahr wird, wächst er nach innen unter die Haut und verbindet sich schicksalhaft der geistigen Existenz eines Menschen. Christine hört auf den neuen Namen von Boolen in den ersten Tagen mit heimlichem Übermut (ach, ihr erkennt mich nicht! Wenn ihr wüßtet!). Sie trägt ihn leichtfertig wie man eine Maske auf einer Redoute trägt. Aber bald vergißt sie den unbeabsichtigten Betrug, betrügt sich selbst und wird, die sie nun scheinen soll. Was ihr anfangs peinlich gewesen, adelig angesprochen als reiche Fremde zu werden, nach einem Tag ist er ihr schon prickelndes Behagen, am zweiten, am dritten Tage bereits völlig selbstverständlich. Als sie einer der Herren nach ihrem Vornamen fragt, scheint ihr Christine (zu Hause ruft man sie Christl) zu wenig klanghaft für den angeborgten Titel, verwegen antwortet sie »Christiane«, und so heißt sie nun, »Christiane von Boolen« an allen Tischen im ganzen Haus. So wird sie vorgestellt, so läßt sie sich grüßen, widerstandslos gewöhnt sie sich in den 65
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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