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Rausch der Verwandlung
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Seite - 83 - in Rausch der Verwandlung

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Gerettet, gerettet! Die Gelenke beben ihr noch: eine Minute und es wäre zu spät gewesen, schrecklich, wie unsicher, wie hinfällig, wie schwach ich geworden bin, jeder könnte mich nehmen in so einem Augenblick, das habe ich früher nie gekannt. Ganz sicher war ich doch schrecklich, wie einen das aufwühlt und nervös macht! Ein Glück, daß ich noch die Energie hatte, hier rechtzeitig herein und die Tür vor ihm zu, weiß Gott, was sonst geschehen wäre. Sie streift rasch im Dunkel die Kleider ab, heftig hämmert das Herz. Aber wie sie geschlossenen Auges dann im Bett liegt, weich die Glieder in der warmen Umfassung der Daunen, bebt die Haut noch von der langsam abklingenden Erregung. Unsinn, denkt sie, warum ängstige ich mich eigentlich so sehr. Achtundzwanzig Jahre alt und immer noch sich sparen und verweigern, immer noch warten und zögern und sich fürchten. Warum spar’ ich mich denn und für wen? Der Vater hat gespart und die Mutter und ich, alle, alle haben wir gespart in diesen gräßlichen Jahren, während die andern gelebt haben; immer habe ich keinen Mut gehabt, zu nichts, und wer hat’s uns vergolten? Und mit einmal ist man alt und abgeblüht und stirbt und weiß nichts und hat nicht gelebt und nichts gewußt, und drüben beginnt dann wieder das kleine Leben, das gräßlich enge, und hier, hier ist alles, und man muß es nehmen, doch ich fürchte mich, ich sperr’ mich und spar’ mich wie ein halbwüchsiges Mädel, feig, feig und dumm, Unsinn, Unsinn? Ob ich nicht doch den Riegel aufschieben sollte, vielleicht … nein, nein, nicht heute. Aber ich bleibe doch hier, acht Tage, vierzehn Tage, wunderbare, unendliche Zeit! Nein, ich werde nicht mehr so dumm sein, so feig sein, alles nehmen, alles genießen, alles, alles … Und mit einem Lächeln auf den Lippen, die Arme gespannt, den Mund wie zu einem Kuß weich aufgetan, schläft Christine ein und weiß nicht, daß es ihr letzter Tag, ihre letzte Nacht ist in dieser obern Welt. Wer stark fühlt, beobachtet wenig: alle Glücklichen sind schlechte Psychologen. Nur der Beunruhigte spannt alle Sinne zu äußerster Schärfe, Instinkt der Gefahr macht ihn klug über seine natürliche Klugheit hinaus. Und für jemanden bedeutete, ohne daß Christine es ahnte, ihre Gegenwart seit einiger Zeit Beunruhigung und Gefahr. Jenes Mannheimer Mädel, die energisch und zielhaft dachte und deren zutunliche Plauderhaftigkeit sie törichten Herzens für Freundschaft nahm, war über Christines gesellschaftlichen Triumph leidenschaftlich erbittert geworden. Vor der Ankunft dieser amerikanischen Nichte hatte der Ingenieur mit ihr heftig geflirtet und Andeutungen ernster, vielleicht heiratlicher Absichten gegeben. Entscheidendes war nicht geschehen, es fehlten vielleicht noch ein paar Tage und eine geschickte Stunde für entscheidende Aussprache; da war Christine 83
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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