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Eifersucht schlug die kleine Intrigantin zu.
Endlich (zwei Tage mußte sie plaudern, horchen und spähen) bekam die
Geschäftige Lunte in die Hand. Friseurinnen plaudern berufsmäßig gern;
wenn Hände allein arbeiten, bleiben Lippen selten still. Die flinke Madame
Duvernois, deren Frisierzelle gleichzeitig Großmarkthalle sämtlicher
Neuigkeiten war, lachte ein silbernes C, als sich beim Haarwaschen die
Mannheimerin nach Christine erkundigte. »Ah, la nièce de Madame van
Boolen« – das Lachen floß immer weiter wie der strömende Wassertusch –
»ah, elle était bien drôle à voir quand elle arrivait ici«; eine Frisur wie ein
Bauernmädel habe sie gehabt, dicke gerollte Zöpfe und Haarnadeln, ganz
schwere und eiserne, sie habe gar nicht gewußt, daß man in Europa noch
solche Scheusäligkeiten fabriziere, zwei müßte sie noch irgendwo in einer
Lade haben, sie habe sie sich aufgehoben als historische Kuriosität. Das war
nun eine ganz ausgiebige Spur, und mit einer beinahe sportlichen Zähigkeit
verfolgte sie das kleine Luder weiter. Als nächste brachte sie das
Stubenmädchen von Christines Etage geschickt zum Schwätzen, und bald
kriegte sie alles heraus: daß Christine mit einem kleinen winzigen
Strohköfferchen gekommen war, daß alle Kleider, Wäsche, ihr hier eilig von
Frau van Boolen gekauft oder geliehen worden waren. Bis zum Regenschirm
mit dem Horngriff erfuhr durch rege und trinkgeldfördernde Umfrage die
Mannheimerin jedes Detail. Und da der Böswillige immer Glück hat, stand
sie durch Zufall gerade dabei, als Christine ihre Briefe unter dem Namen
Hoflehner erbat, und eine raffinierte lässige Frage erhielt den überraschenden
Aufschluß, daß Christine gar nicht von Boolen hieße.
Das war genug und übergenug. Das Pulver lag locker, nun brauchte Carla
nur noch die Zündschnur richtig zu legen. In der Halle saß Tag und Nacht wie
an einer Kontrollkasse, das Lorgnon als Waffe in der Hand, Frau Geheimrat
Strodtmann, die Witwe des großen Chirurgen. Ihr Rollstuhl (die alte Frau war
gelähmt) galt unbestritten als Auskunftei aller gesellschaftlichen Neuigkeiten
und vor allem als letzte Instanz, die zwischen zulässig und unzulässig
endgiltig entschied; diese militante Nachrichtenstelle im heimlichen Krieg
aller gegen alle arbeitete Tag und Nacht mit fanatischer Präzision. Zu ihr
setzte sich die Mannheimerin, um eilig und geschickt die kostbare Fracht
abzuladen, natürlich tat sie’s in scheinbar freundschaftlichster Form: ein
reizendes Mädchen sei dieses Fräulein von Boolen (das heißt man nenne sie
ja nur so im ganzen Haus), wirklich, man möchte es ihr gar nicht anmerken,
daß sie von ganz unten komme. Es sei doch eigentlich prachtvoll von Frau
van Boolen, daß sie dieses Ladenmädel, oder was sie sonst sei, aus
Gutmütigkeit für ihre Nichte ausgebe, sie mit ihren Kleidern auf nobel
herrichte und unter falscher Flagge segeln ließe. Ja, die Amerikaner dächten
doch in solchen Standesfragen demokratischer und großzügiger wie wir
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Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik