Seite - 90 - in Rausch der Verwandlung
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Nun hätte ich das gern verhindert, denn – Sie haben das wohl bemerkt – ich
schätze Ihre Nichte ganz außerordentlich … ganz außerordentlich, und ich
wäre glücklich, könnte ich ihr, die so wunderbar arglos ist, eine Enttäuschung
ersparen helfen.«
Lord Elkins unterbricht. Sein Gesicht wird im Nachdenken plötzlich wieder
alt und grau.
»Ob ich sie auf die Dauer werde schützen können, das… das kann ich nicht
versprechen. Das hängt… das hängt von den Umständen ab. Aber jedenfalls
wünsche ich den Herrschaften sichtbar zu zeigen, daß ich sie mehr achte als
diese ganze Geldkrapüle und daß, wer sich eine Ungezogenheit gegen sie
erlaubt, es mit mir persönlich zu tun hat. Es gibt eine Art Späße, die ich nicht
dulde, und solange ich hier bin, mögen sich die Herrschaften in acht
nehmen.«
Er steht plötzlich auf, entschlossen und stramm, wie ihn Frau van Boolen
nie gesehen.
»Gestatten Sie«, fragt er formell, »daß ich jetzt Ihr Fräulein Nichte zu einer
Autotour bitte?«
»Aber selbstverständlich.«
Er verbeugt sich und geht – verblüfft blickt Frau van Boolen ihm nach –
auf das Schreibzimmer zu, die Wangen gerötet wie von scharfem Wind, die
Hände fest geballt; was will er, staunt Frau van Boolen ihm noch ganz betäubt
nach. Christine schreibt und hört ihn nicht kommen. Er sieht nur von
rückwärts das helle schöne Haar über dem gebeugten Nacken der
Schreibenden, sieht die Gestalt, die nach Jahren und Jahren wieder
Begehrlichkeit in ihm erweckt. Armes Kind, denkt er, ganz sorglos ist sie, sie
weiß nichts, aber sie werden dich schon irgendwie anpacken, und man kann
dich nicht schützen. Leise rührt er ihre Schulter. Christine staunt auf und
erhebt sich sofort respektvoll: vom ersten Augenblick an hatte sie immer und
immer wieder das Bedürfnis, diesem außerordentlichen Mann sichtliche
Verehrung zu erweisen. Er zwingt dem gepreßten Mund gewaltsam ein
Lächeln ab: »Ich komme, liebes Fräulein Christiana, heute mit einer Bitte.
Mir geht es heute nicht gut, Kopfschmerzen seit frühmorgens, ich kann nicht
lesen, nicht schlafen. Da dachte ich, vielleicht tut mir frische Luft gut, ein
Ausflug im Auto, und gewiß täte es mir am besten, wenn Sie mir dabei
Gesellschaft leisteten. Von Ihrer Frau Tante habe ich bereits die Erlaubnis, Sie
zu bitten. Wenn Sie also wollten?… «
»Aber natürlich … Es ist mir doch nur eine … Freude, eine Ehre … «
»Dann gehen wir.« Zeremoniell bietet er ihr den Arm. Es wundert und
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Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik