Seite - 95 - in Rausch der Verwandlung
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»Aber mir ist es nicht gleichgiltig, mir nicht.«
Claires Stimme wird, ohne daß sie es merkt, immer schriller. »Ich laß mir
nicht nachreden, ich hätte die Leute hereingelegt und irgendein armes Mädel
als Herzogin vorgestellt. Ich laß mir’s nicht gefallen, daß wir jemand wie den
Trenkwitz einladen und der Flegel mir den Portier schickt, statt sich zu
entschuldigen. Nein, so lang’ wart ich nicht, daß die Leute vor uns kehrt
machen, das hab ich nicht nötig. Ich bin, weiß Gott, zu meinem Vergnügen
hergekommen und nicht, um mich zu ärgern und mich aufzuregen. Ich laß mir
das nicht gefallen.«
»Und was –« er deckt mit der Hand ein kleines Gähnen zu, »was willst du
also tun?«
»Abreisen!«
»Wie?« Unwillkürlich reißt sich der sonst so Schwerfällige auf, als habe
ihm jemand schmerzhaft auf die Zehen getreten.
»Ja, abreisen, und morgen früh noch. Die Leute werden sich irren, wenn sie
glauben, daß ich ihnen ein Theater vormachen werde, ihnen Erklärungen
abgeben, wieso und warum und mich am Ende noch entschuldigen. Das
müßten schon andere Herrschaften sein als diese Trenkwitz und so weiter. Die
Gesellschaft hier paßt mir ohnehin nicht, außer Lord Elkins eine
zusammengewürfelte, langweilige, laute Mittelmäßigkeit, von denen lasse ich
mich nicht durch die Lippen ziehen. Ohnehin tut’s mir nicht gut hier, die
zweitausend Meter hoch machen mich ganz nervös, ich kann nicht schlafen in
der Nacht – natürlich, du merkst das nicht, du legst dich hin und schläfst
schon, eine Woche lang wünschte ich mir deine Nerven! Drei Wochen sind
wir jetzt hier – genug und übergenug! Und was das Mädel betrifft, so haben
wir Mary gegenüber reichlich unsere Pflicht getan. Wir haben sie eingeladen,
sie hat sich amüsiert und erholt, zuviel sogar, aber jetzt Schluß. Ich brauche
mir keinen Vorwurf zu machen.«
»Ja, aber wohin … wohin willst du denn so plötzlich?«
»Nach Interlaken! Dort ist nicht so hohe Luft, dort treffen wir auch die
Linseys, mit denen wir am Schiff so guten talk gehabt haben. Das sind doch
wirklich nette Menschen, anders als dieser gemischte Trubel hier, und
vorgestern erst haben sie mir geschrieben, wir sollen doch kommen. Wenn
wir morgen früh fahren, so können wir zum dinner schon mit ihnen sein.«
Anthony widerstrebt noch ein wenig. »Immer alles so plötzlich! Müssen
wir denn schon morgen fahren? Wir haben doch genug Zeit!«
Aber bald gibt er nach. Er gibt immer nach aus alter Erfahrung, daß Claire,
wenn sie etwas heftig will, unverweigerlich immer ihren Willen durchsetzt
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Rausch der Verwandlung
- Titel
- Rausch der Verwandlung
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1982
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 204
- Kategorien
- Weiteres Belletristik