Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Rausch der Verwandlung
Seite - 96 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 96 - in Rausch der Verwandlung

Bild der Seite - 96 -

Bild der Seite - 96 - in Rausch der Verwandlung

Text der Seite - 96 -

und aller Widerstand nur Kraftvergeudung ist. Außerdem ist es ihm einerlei. Menschen, die in sich selber ruhn, spüren die Umwelt nicht stark; ob er mit Linseys oder hier mit Guggenheims seinen Poker macht, ob der Berg vor dem Fenster Schwarzhorn oder Wetterhorn heißt und das Hotel Palace oder Astoria, ist dem alten Phlegmatiker im Grunde gleichgiltig, er will nur keinen Streit. So kämpft er nicht lang, hört geduldig Claire an den Portier telefonieren und ihm Anweisungen geben, blickt amüsiert zu, wie sie hastig und hitzig die Koffer hervorholt und mit unbegreiflicher Hast Kleider zusammenschichtet, zündet seine Pfeife, geht hinüber zu seiner Kartenpartie und denkt, während er mischt und teilt, nicht weiter an die Abreise und seine Frau und am wenigsten an Christine. Während sich im Hotel Verwandte und Fremde über Christines Gekommensein und Fortsollen schwatzhaft erregen, furcht messingblitzend das graue Automobil Lord Elkins’ das windige Blau des Hochtals, geschmeidig und kühn biegt es die weißen Kehren ins Unter-Engadin hinab: schon nähert sich Schuls-Tarasp. Mit seiner Einladung hat Lord Elkins sie gewissermaßen öffentlich unter seinen Schutz stellen wollen und nach kurzer Spazierfahrt wieder zurückbringen; wie er aber sie neben sich sitzen hat, heiter plaudernd zurückgelehnt, in sorglosen Augen den ganzen Himmel spiegelnd, scheint es ihm doch sinnlos, ihr und auch ihm eine holde Zeit zu verkürzen, und er gibt dem Chauffeur Auftrag, noch weiter und weiter zu fahren. Nur nicht zu rasch zurück, sie wird es immer noch früh genug erfahren, denkt der alte Mann, während er in unwiderstehlicher Zärtlichkeit ihre Hand streichelt. Eigentlich sollte man sie rechtzeitig schon warnen, sie schonend unauffällig vorbereiten, was sie von jener Gesellschaft zu erwarten hat, damit sie dann ihren plötzlichen Frost nicht so schmerzhaft empfindet. So versucht er gelegentliche Andeutungen über den bösartigen Charakter der Geheimrätin und warnt diskret vor ihrer kleinen Freundin; aber mit der leidenschaftlichen Hellgläubigkeit der Jugend verteidigt die Arglose ihre grimmigsten Feinde: rührend gut sei sie doch und so anteilnehmend an allem, die alte Geheimrätin, und die kleine Mannheimerin, das ahnte Lord Elkins gar nicht, wie klug und lustig und witzig die sein könne, sie habe wohl zu wenig Mut in seiner Gegenwart. Überhaupt, alle Menschen hier seien so wunderbar, so heiter und wohlwollend zu ihr, wahrhaftig, sie schäme sich manchmal, wie käme ihr denn all dies zu. Der alte Mann sieht nieder auf die Spitze seines Stockes. Seit dem Krieg denkt er hart von den Menschen, hart von den Nationen, weil er sie alle als selbstsüchtig und phantasielos für das Unrecht, das sie andern bereiteten, erkannt hat. In dem blutigen Morast von Ypern und in einer Kalkgrube bei Soissons (wo sein Sohn gefallen ist), liegt auch der von den Vorlesungen John Stuart Hills und seiner Schüler mitgenommene Idealismus seiner Jugend, der 96
zurück zum  Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
Weiteres Belletristik
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Rausch der Verwandlung