Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Rausch der Verwandlung
Seite - 97 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 97 - in Rausch der Verwandlung

Bild der Seite - 97 -

Bild der Seite - 97 - in Rausch der Verwandlung

Text der Seite - 97 -

an die moralische Sendung der Menschheit und an den Seelenaufschwung der weißen Rasse glaubte, endgiltig begraben. Politik ekelt ihn, die kühle Geselligkeit des Klubs, die theatralische Verlegenheit der öffentlichen Bankette stoßen ihn ab; seit dem Tod seines Sohnes vermeidet er, neue Bekanntschaften zu machen; bei seiner eigenen Generation erbittert ihn das verbissene Nicht-die-Wahrheit-Erkennenwollen, der Mangel an Umlernfähigkeit vom Vorkrieg in die neue Zeit, bei der jungen Generation das frech leichtfertige Besserwissenwollen. Bei diesem Mädchen hat er zum erstenmal wieder Gläubigkeit gesehen, jene dumpfe und heilige Dankbarkeit schon bloß für die Tatsache des Jungseins, und er versteht in ihrer Gegenwart, daß alles Lebensmißtrauen, das eine Generation schmerzhaft erwirbt, glücklicherweise unverständlich und ungiltig bleibt für die nächste und mit jeder neuen Jugend wieder neu beginnt. Wie wunderbar kann sie noch dankbar sein für das Geringste, fühlt er entzückt und gleichzeitig regt sich, stärker als jemals und fast schmerzhaft, leidenschaftlich der Wunsch, etwas von dieser herrlichen Wärme in sein eigenes Leben nehmen zu dürfen, vielleicht sie ganz an sich zu binden. Ein paar Jahre, denkt er, könnte ich sie schützen, vielleicht würde sie dann nie oder spät erst die Niederträchtigkeit der Welt erfahren, die vor dem einen Namen buckelt und den Armen mit dem Absatz tritt. Ah – er blickt sie von der Seite an: sie hat den Mund eben kindhaft aufgetan und saugt die herrlich ansausende Luft, und dabei schließt sie die Augen – ein paar Jahre Jugend nur, es wäre genug für mich. Und während sie jetzt wieder, dankbar ihm zugewandt, munter plaudert, hört der alte Mann nur halb ihr zu, denn ein plötzlicher Mut ist über ihn gekommen; er erwägt, wie auf unauffälligste Weise noch in dieser vielleicht letzten Stunde eine Werbung zu versuchen. In Schuls-Tarasp nehmen sie Tee. Dann auf einer Bank der Promenade setzt er vorsichtig und umwegig ein. Er habe zwei Nichten, etwa so alt wie sie, in Oxford, dort könne sie, vorausgesetzt, daß sie nach England kommen wolle, wohnen; es sei eine Freude für ihn, sie zu ihnen einladen zu dürfen, und wenn dann auch seine Gesellschaft, freilich die eines alten Mannes, ihr nicht lästig sei, würde er glücklich sein, ihr London zeigen zu dürfen. Nur wisse er natürlich nicht, ob sie sich überhaupt entschließen könne, von Österreich wegzugehen und nach England zu kommen, ob nichts sie zu Hause binde – er meine: innerlich binde. Die Frage ist deutlich. Aber Christine in ihrer sprudelnden Begeisterung versteht sie nicht. O nein, wie gerne würde sie die Welt sehen, und England solle ja herrlich sein, sie habe so viel gehört von Oxford und seinen Regatten, es gäbe ja kein Land, wo der Sport solche Lust, wo es so prachtvoll sein müsse, jung zu sein. Das Gesicht des alten Mannes verdüstert sich. Sie hat kein Wort von ihm gesprochen. Nur an sich gedacht, nur an ihr eigenes Jungsein. Er verliert 97
zurück zum  Buch Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
Weiteres Belletristik
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Rausch der Verwandlung