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Rausch der Verwandlung
Seite - 99 -
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Seite - 99 - in Rausch der Verwandlung

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Die Tante hämmert noch einmal auf das Schloß, jetzt schnappt es ein. Keuchend richtet sie sich auf. »Ja, es ist eigentlich schade, mir tut’s selber leid, Christi! Aber ich hab’s von Anfang an gesagt, Anthony wird sie nicht vertragen, diese hohe Luft. Für alte Leute ist das nicht mehr das Richtige. Heute nachmittag hat er wieder einen Asthmaanfall gehabt.« »Um Gottes willen!« Christine fährt dem alten Mann entgegen, der gerade, und zwar völlig ahnungslos aus dem Nebenzimmer tritt. Mit leidenschaftlich erschreckter Zärtlichkeit, ganz bebend vor Erregung, faßt sie ihn an. »Wie geht es, Onkel? Hoffentlich schon besser! Mein Gott, ich habe ja gar nichts geahnt, wie wäre ich sonst weggefahren! Aber wirklich, mein Ehrenwort, du siehst wieder ganz gut aus; nicht wahr, es ist dir schon besser?« Ganz fassungslos sieht sie ihn an, ihr Schrecken ist ehrlich und echt. Sie hat völlig an sich vergessen. Sie hat noch nicht verstanden, daß sie abreisen soll. Nur, daß der alte gutmütige Mann krank ist, nur das hat sie begriffen. Für ihn, nicht für sich ist sie erschrocken. Anthony, so gesund und phlegmatisch wie nur je, steht peinlich berührt von dem hinreißenden Ausdruck ihrer ehrlichen und liebevollen Angst. Erst nach und nach begreift er, in welche widerliche Komödie er eingemengt werden soll. »Aber nein, liebes Kind«, knurrt er (verdammt, warum schiebt Claire mich vor!), »Claire, du mußt sie ja schon kennen, übertreibt immer. Ich fühle mich ganz wohl, und wenn es nach mir ginge, blieben wir hier.« Und um den Ärger abzureagieren, den er über die ihm nicht recht verständliche Lüge seiner Frau empfindet, fügt er beinahe grob bei: »Claire, laß doch endlich die verfluchte Packerei, dazu ist noch reichlich Zeit. Wir wollen doch diesen letzten Abend mit dem guten Kind gemütlich verbringen.« Claire macht sich trotzdem noch weiter zu schaffen und spricht nicht; anscheinlich fürchtet sie sich vor den unausweichlichen Erklärungen, Anthony wiederum (sie soll sich da selber herausziehen, ich nehm’ ihr nichts ab) blickt angestrengt zum Fenster hinaus. Zwischen den beiden steht wie etwas Unnützes und Lästiges Christine stumm und verwirrt im verwaisten Zimmer. Etwas ist geschehen, das spürt sie, etwas, das sie nicht versteht. Ein Blitz ist grell niedergefahren, nun wartet sie klopfenden Herzens auf den Donner, und der kommt nicht und kommt nicht und muß doch kommen. Sie wagt nicht zu fragen, sie wagt nicht zu denken und weiß mit allen Nerven, etwas Böses ist geschehen. Haben sie Streit gehabt? Sind schlechte Nachrichten aus New York gekommen? Vielleicht etwas an der Börse, im Geschäft, ein Bankkrach, man liest ja jetzt so etwas jeden Tag in den Zeitungen? Oder hat wirklich der Onkel einen Anfall gehabt und verschweigt es nur, um sie zu schonen? Warum lassen sie mich so stehen, 99
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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