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Rausch der Verwandlung
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»Ja, Kind«, sagt er. »Gewiß, Kind … man darf nur nichts übereilen … wir werden das alles noch besprechen. Überlegen Sie noch bis morgen … vielleicht entschließen sich auch Ihre Verwandten noch anders, und es tut ihnen leid … morgen sehen wir alles klarer.« Aber sie bebt dringend: »Nein, nicht morgen, nicht morgen! Morgen muß ich schon weg, in der Früh muß ich schon weg, schon in der Früh … Sie stoßen mich ja fort … wie ein Postpaket, schnell, schnell, express spedieren sie mich … Und ich lasse mich nicht so wegschicken… Ich lasse mich nicht … « Und ihn heftiger anfassend: »Nehmen Sie mich mit … sofort, sofort … helfen Sie mir … Ich … ich ertrage es nicht mehr.« Man muß ein Ende machen, überlegt der Ingenieur. Nur sich in nichts einlassen. Sie ist nicht bei Sinnen, sie weiß nicht, was sie redet. »Ja, ja, ja, mein Kind«, streichelt er ihr übers Haar, »selbstverständlich, ich verstehe ja … wir werden das alles jetzt drinnen besprechen, nicht hier, hier dürfen Sie nicht länger bleiben … Sie könnten sich erkälten … ohne Mantel in dem dünnen Kleid … Kommen Sie nur, wir gehen jetzt hinein und setzen uns in die Halle … « Dabei löst er vorsichtig seinen Arm. »Kommen Sie jetzt, Kind.« Christine starrt ihn an. Mit einmal stockt das Schluchzen. Sie hat nichts gehört und begriffen, was er sagt. Aber mitten in ihrer sinnlosen Verzweiflung, in seiner zuckenden Unbewußtheit hat ihr Körper gespürt, daß der warme zärtliche Arm sich von ihr ängstlich löst. Der Körper hat zuerst verstanden, was jetzt erst der Instinkt und nach ihm das Gehirn schreckhaft erkennt, daß dieser Mann sich von ihr zurückzieht, feige ist, vorsichtig und sich fürchtet, daß alles sie hier weg haben will, alles. Sie wacht auf aus ihrer Trunkenheit, ein Ruck und sie sagt kurz und scharf: »Danke. Danke, ich gehe schon allein. Entschuldigen Sie, mir war nur einen Augenblick nicht ganz wohl, die Tante hat recht, mir tut die hohe Luft hier nicht gut.« Er will etwas sagen. Aber ohne sich um ihn zu kümmern, geht sie mit harten Schultern heftig voraus. Nur sein Gesicht nicht mehr sehen, niemand mehr sehen, niemand mehr sehen, fort, fort, fort, vor keinem dieser hochmütigen, feigen, satten Menschen mehr sich erniedrigen, fort, fort, fort, nichts mehr nehmen von ihnen, nichts mehr sich schenken lassen, nicht mehr sich täuschen lassen, nicht mehr an sie sich verraten, an niemanden, an keinen, fort, fort, fort, lieber krepieren, lieber im Winkel verrecken. Und während sie das vergötterte Haus, die geliebte Halle durchschreitet, an den Menschen vorbei wie an geschmückten bemalten Steinen, spürt sie nur eines mehr: Haß gegen ihn, gegen jeden hier, gegen alle. Die ganze Nacht bleibt Christine regungslos auf dem Sessel vor dem Tisch sitzen. Ihre Gedanken gehen dumpf im Kreise, um das einzige Gefühl herum, 107
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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