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Rausch der Verwandlung
Seite - 116 -
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mitgenommen. Eigentlich wär’s das einfachste, du gibst ihr den von der Mutter mit, Christl! Oder brauchst ihn etwa selber?« »Nein«, sagt Christine vom Fenster aus und zittert. Jetzt kommt es, gleich wird es kommen; aber nur rasch, nur rasch! »Überhaupt«, setzt wie auf Verabredung die Schwester ein, »wär’s nicht das Gescheiteste, wir täten jetzt gleich die Sachen von der Mutter aufteilen? Wer weiß, wann wir wieder alle vier zusammenkommen, der Franz hat so furchtbar viel Dienst, und Sie« (sie wendet sich zum Tischlermeister) »gewiß auch. Und noch einmal eigens herfahren, das steht doch nicht dafür, das kost’ wieder Geld. Ich glaub’, wir teilen’s am besten gleich auf, bist einverstanden, Christl?« »Aber selbstverständlich.« Ihre Stimme wird plötzlich rauh. »Nur bitte ich euch, teilt alles allein unter euch auf! Ihr habt beide Kinder, ihr könnt die Sachen von der Mutter viel besser brauchen, ich hab’ nichts nötig, ich nehm’ nichts; teilt’s nur alles zwischen euch.« Sie sperrt den Kasten auf, holt ein paar abgetragene Kleider und legt sie (es ist kein anderer Platz in der engen Mansarde) auf das Bett der Toten (gestern war es noch warm)! Es ist nicht sehr viel, ein bißchen Wäsche, der alte Fuchspelz, der gestopfte Mantel, ein Plaid, ein Stock mit Elfenbeingriff, die eingelegte Brosche aus Venedig, der Ehering, die kleine silberne Uhr mit der Kette, der Rosenkranz und das Emaillemedaillon aus Maria Zell, dann die Strümpfe, Schuhe, die Filzpantoffel, die Unterwäsche, ein alter Fächer, ein zerknüllter Hut und das vergriffene Gebetbuch. Nichts vergißt sie, die alte Frau hat ja so wenig gehabt, von dem schlotternden Pfandhauskram, dann wendet sie sich rasch weg zum Fenster und starrt in den Regen hinaus. Hinter ihr beginnen die beiden Frauen leise zu sprechen, die einzelnen Stücke gegeneinander abzuschätzen und sich zu verständigen. Was der Schwester zufällt, legt sie rechts auf das Bett der Toten, was der Schwägerin zufällt, links, dazwischen bleibt eine unsichtbare Wand und Grenzscheide. Christine atmet hart am Fenster. Sie hört von innen heraus das abschätzende Feilschen, so leise sie auch sprechen, sie sieht ihre Finger, obwohl sie mit dem Rücken gegen das Bett der Toten gewandt steht, Mitleid mengt sich in ihren brennenden Zorn. »Wie arm sie sind, so erbärmlich arm, und ahnen es gar nicht. Einen Kram teilen sie, den andere nicht mit dem Fuß anstoßen; diese alten Flanellrollen, diese abgetragenen Schuhe, diese wahnwitzig lächerlichen Fetzen sind ihnen noch Kostbarkeiten! Was wissen sie von der Welt, was ahnen sie! Aber besser vielleicht, wenn man gar nicht erfährt, wie arm man ist, wie widerlich, wie ekelhaft arm und erbärmlich!« Der Schwager tritt zu ihr heran: »Aber Christl, alles was recht ist, aber das geht doch nicht, daß du dir gar nix nimmst. Irgendwas mußt doch schon als 116
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Rausch der Verwandlung
Titel
Rausch der Verwandlung
Autor
Stefan Zweig
Datum
1982
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
204
Kategorien
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