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gleichzeitigerDistanzierungvomsogenanntenniederenStand, die sich zur an-
tidemokratischenTendenzauswuchs.MankönnedieGesellschaft, soSchaukal
in einemEssayüber FrankWedekind (1864–1918), „nicht anders als durchdie
puerile Gewalttätigkeit der Französischen Revolution bekämpfen. Die rationa-
listischenAufklärerentfesseltendenMobgegendiesiecheMacht [. . .].DerMob
bemächtigt sichderMacht undmißbraucht sie so lange, bis er sichdas Legiti-
mitätsprinzipwiederüberdenNackenwerfen läßt.“11
AusdemblutigniedergeschlagenenCoupd’État vom2.Dezember 1851 zog
Gustave Flaubert (1821–1880) eine ähnliche Erkenntnis, die auch Schaukal,
ÜbersetzerundKenner seinerWerke, befürwortet habendürfte: „Nämlich, daß
mandasGewöhnlicheüberhauptnicht braucht, dasElementderMenge,Majo-
ritäten, öffentliche Anerkennung, Bestätigung. 89 hat das Königtum und den
Adel zu Fall gebracht, 48 die Bourgeoisie und 51 das Volk [. . .]. Die soziale
Gleichheit ist ingeistigeübergegangen.“12WenigeMonate zuvorhatteFlaubert
die Adressatin seiner Briefe gefragt: „Schert sich dieMasse nicht einen Dreck
umKunst,Dichtung,Stil?Siebrauchtdasallesgarnicht.Schafft ihr seichteKo-
mödien,AbhandlungenüberGefängnisarbeit, überArbeitersiedlungenunddie
augenblicklichenmateriellen Interessen,meinetwegen.“13
Mit Blick auf Schaukal und Österreich könnte Flauberts historischer Abriss
durchdas Jahr 1873ergänztwerden,als einGroßteil des liberalenBürgertumszu-
mindest ins Straucheln geratenwar. Der Liberalismushatte dieWirtschaft beflü-
gelt und die davon profitierenden Unternehmer ließen sich entlang der neu
geschaffenenWiener Ringstraße ihre Palais errichten.Dochder Börsenkrach von
1873stellteeinprägendesEreignisdar,seineAuswirkungenbekamauchdienach-
folgendeGenerationnoch zu spüren.Die denbürgerlichenSprossen zuvor indie
Wiege gelegten beruflichen Perspektiven und sozialen Privilegien waren gegen
Ende des Jahrhunderts nicht mehr gesichert. Zum anderen strebten die Töchter
und Söhne der liberalen Ära auch von sich aus andere Lebensmodelle an. Das
„goldeneZeitalterderSicherheit“ (StefanZweig, 1881–1942)hatteerstzukulturel-
ler Hochkonjunktur geführt, mündete dann aber zunehmend in urbane Be-
triebsamkeit, in der auch politische Themen behandelt und soziale Fragen
gestelltwerdenmussten.
11 Schaukal:FrankWedekind.SkizzezueinemPorträt. In:WE.Bd.5:ÜberDichter.München/
Wien1966,S.62–72,hierS.69.
12 BriefGustaveFlaubertsanLouiseColet vom22.September 1853, in:Flaubert:DieBriefean
Louise Colet.Mit allen erhaltenenBriefenundTagebuchnotizen von Louise Colet anGustave
Flaubert und einemVorwort von Julian Barnes. Aus demFranz. undmit Anm. von Cornelia
Hasting.Zürich1995,S.815–816.
13 BriefFlaubertsanColetvom20. Juni 1853, in:Flaubert:DieBriefeanLouiseColet,S.715.
Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters 5
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik