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der Reflexionsgrad und je ausgeprägter das methodische Problembewusstsein,
desto flüchtiger das biographische Objekt. Im Bewusstsein, dass Forschung
einen bestimmten Untersuchungsweg a priori vorgibt und Ergebnisse somit
zwangsläufig subjektivenEinflüssenunterstehen, sollhier inAnlehnunganSar-
tre die Frage abgeändert werden: Welche biographischen Herangehensweisen
sindüberhauptmöglich,wenndiekomplexeSozialwelt und innereProzesse zu-
sammenerforschtwerdensollen?WelcheSelbst-undFremdentwürfe lassensich
konkret inSchaukalsLebenundseinenKontakten festmachen?WelchePosition,
welcheRollenahmeraufwelcheWeise imsozialenRaumundzudenwichtigs-
ten Akteuren darin ein, und unter welchenBedingungen führte er seineHand-
lungen als Beamter, Kritiker, Übersetzer und vor allem als Schriftsteller und
Literaturvermittleraus?
Die Biographie stellt eineMöglichkeit unter vielen dar, sich eines Themas
methodischanzunehmen.Aus einer bestimmtenPerspektive,mit Rückgriff auf
vorhandene Quellen und unter Verwendung von narrativen und technologi-
schen Mitteln wird eine Version der Biographie erzeugt.92 Keine Biographie
könne jemals das letzte Wort sein, so Nye über seine Edison-Antibiographie.
Nicht im Streben nach Letztgültigkeit liegt der biographische Erkenntniswert,
sondern in der Veranschaulichung von ganz unterschiedlichen Teilaspekten
undihrerStrukturensowieFunktionen.93
1.1 Biographiewürdigkeit
Bisheute folgenkonventionelleBiographienoftmalseinemwissenschaftlichen,
sozialen, kalendarischenoderökonomischenKonsensdarüber,welchePersön-
lichkeiten oder Leistungendarstellungswürdig sind.Dabei bewegt sichdas In-
teresse ambiographischenObjekt oft Parallel zu erkenntnistheoretischen und
gesellschaftspolitischen Bewegungen. Im Zentrum der Auswahl eines biogra-
phischen Themas steht die Frage nach bestimmten Funktionsweisen, so zum
Beispiel nach der Rolle des ‚erzählten‘ Lebens für ein kulturelles Gedächtnis
unddiedamitzusammenhängendenKanonisierungsprozesse.DieAuswahlkann
dabei eine Rückbindung an die Biographen darstellen (in Form einer symboli-
schen Profilierung). Es geht also auch umöffentliche, zumeist indirekt verhan-
delteLegitimierungundSelbstlegitimierung.
92 Vgl. Christian vonZimmermann: Exemplarische Lebensläufe: ZudenGrundlagender Bio-
graphik. In: Frauenbiographik. Lebensbeschreibungen und Porträts. Hg. von Christian und
NinavonZimmermann.Tübingen2005,S.3–16,hierS. 15.
93 Vgl.Nye:NachThomasEdison,S.353.
22 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik