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‚wichtiger‘ internationaler Romane setzt beim „Epochenbruch 1989“ an und ver-
bindetpolitischemit literarischerBedeutsamkeit.133
Kanonisierung geht also stets mit der Herstellung oder, wie rezente Bei-
spiele zeigen,mitder Infragestellungvon (literarischer)Autorität sowiemit Se-
lektion einher, worin auch immer die Gründe für eine solche Auswahl liegen.
Die Engführung eines eigentlich sehr breiten literarischen Panoramas regte
Literaturwissenschaftler zu quantitativen Untersuchungen an, die auf compu-
tergestützteVerfahrenzurückgreifenundLiteraturgeschichteausderVogelper-
spektive betrachten. Franco Moretti beschreibt in La letteratura vista da
lontano,wie ihndieUntersuchungvonNationalbibliographiendaraufaufmerk-
sam machte, dass er sich durch den Fokus auf das Besondere und Nicht-
Wiederholte den Zugang zu einemweiteren Erkenntnisrahmen verbaut habe.
Dem setzt er die Methode des distant reading entgegen, die die literaturge-
schichtliche Kanonbildung unterminiere, indem alle veröffentlichten Romane
in einen übergeordneten Kontext gestellt würden (etwa entsprechend der Fra-
gestellung, inwelchemZeitraumdiemeistenRomanepubliziertwurden). Lite-
rarische SensationenbekämendenselbenWert zugesprochenwie die sehr viel
größereZahlanvergessenenBüchernundliterarischenFlops.AnhandvonGra-
phen, Karten und Stammbäumen– drei Visualisierungsmöglichkeiten aus an-
deren wissenschaftlichen Disziplinen –wird nicht der Einzelfall, sondern die
WiederholungbeziehungsweisediachroneEntwicklung literaturgeschichtlicher
Phänomenedargestellt.134
2 Netzwerkforschung:MetapherundMethode
Die Analyse von Netzwerken, Beziehungsgeflechten, sozialen Ordnungsmus-
ternundVerbindungen ist eineMethode,die in ersterLinie aufdieSozial- und
Geschichtswissenschaften zurückgeht. Globalisierung, Technisierung, die fort-
schreitendeDigitalisierung, aber auch die Kritik an der klassischen Soziologie
lenkten den Blick verwandter Disziplinen zunehmend auf die Netzwerkfor-
schungalsheterogene„MethodemittlererReichweite.“135
133 Volker Weidermann: Die Bücher unserer Zeit. In: Der Spiegel, H. 42/2016 (15. Oktober
2016),S. 117–127.
134 Vgl.FrancoMoretti:La letteraturavistada lontano.Turin2009,S.7undS. 10–11.
135 ChristianStegbauerundRogerHäußling (Hg.):HandbuchNetzwerkforschung.Wiesbaden
2010,S.57.
36 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik