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AutonomievonliterarischenTextenundderAuffassung,dassdiesenur literatur-
wissenschaftlich gelesen oder interpretiert werden könnten.175 Auf der anderen
Seitemisst der Soziologemit seinerMethode dem literarischenWerk einenwe-
sentlichenNutzen fĂŒrdieSozioanalysebei.Mehrnoch,Bourdieuwertetdas lite-
rarischeSchreibenauf,dennesvermagâdiegesamteKomplexitĂ€t einerStruktur
und Geschichte, die die wissenschaftliche Analyse mĂŒhsam auseinanderfalten
undentwickelnmuĂ, inderkonkretenSingularitĂ€t einer sinnlichenwiesinnlich
erfaĂbarenGestalt und einesAbenteuers [...] zu konzentrierenund zuverdich-
ten.â176 Die Arbeit an der Form und die rein Ă€sthetische Kontur literarischer
Texte sind fĂŒr Bourdieu essentielle Faktoren fĂŒr dieHervorbringungder darge-
stelltenWelt.177 Siewirdals gelungenbetrachtet,wennsie ein sinnlichesNach-
empfindenermöglicht.
FĂŒrBourdieu stellt die sozialeWelt eineabstrakte rĂ€umlicheEntitĂ€t dar, die
sich aus dynamischen Feldern zusammensetzt (zumBeispiel âKulturâ oder âBil-
dungâ),welchesichwiederuminSubfelderunterteilen lassen(zumBeispiel âLite-
raturâ oder âUniversitĂ€tâ).178 Gleich einem physikalischen Kraftfeld stehen sie
dauerhaftunterSpannung,dadiedarinagierendenAkteurenachdembestmög-
lichen Platz streben (imWesentlichen nachmateriellem und ideellem Erfolg),
sich innerhalb des Feldes also zu etablieren versuchen.Hinzu kommt, dass die
Akteure in jedemFeld â und auch ihre Beziehungen zu diesem Feld â eine je
eigeneDisposition aufweisen, einenur auf diesesFeld ausgerichtete spezifische
Struktur ausGestalt, FunktionundGeltung. BedeutungundWert der Praktiken
eines jedenAkteurskönnen,wennsievoneinemFeldaufeinanderesĂŒbertragen
werden, in ihr Gegenteil umschlagen.179 Ein bildungsbĂŒrgerlicher Habitus fĂŒhrt
beispielsweise im politischen Feld zu ganz unterschiedlichen, von Partei und
WÀhlerklientelabhÀngigenErfolgen.
AusgehendvoneinerkomplexenundrelationalenFeldstrukturdersozialen
Welt, inder sichPersonen inundzudenFeldernsowiezuallenbeteiligtenAk-
teuren (selbst) positionieren, verwirft Bourdieu die geschichtsphilosophische
Annahme von linearen Lebenswegen, die in dermodernen ErzÀhlliteratur seit
WilliamFaulkners (1897â1962) The Sound and the Fury (1929) zurĂŒckgewiesen
175 Vgl.Bourdieu:DieRegelnderKunst,S. 10.
176 Bourdieu:DieRegelnderKunst,S. 53.
177 Vgl.Bourdieu:DieRegelnderKunst,S. 179.
178 Vgl. Bourdieu: Die feinenUnterschiede, S. 277. In dieser Arbeit wird von einer weiteren
Unterteilung inSubfelder abgesehen.Bourdieuordnet demkulturellenFelddie Subfelder âLi-
teraturâ, âMusikâund âbildendeKunstâzu.
179 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 164.
3 SozialeWeltundgeistigerRaum 47
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik