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und Dichter der vorangehenden Generation, Person und Persona fotografisch
zu vereinen.14 Die Fotografien waren einerseits Ausdruck familiären Zusam-
menhalts, solltenaber auchAußenwirkungerzeugenundeine suggestiveAura
entfalten.DiesemachteSchaukal fürseinedichterischeLaufbahnganzbewusst
nutzbar.
Die frühe und vielseitige Verwendung des fotografischenMediums für die
ErzeugungeinerprivatenwieöffentlichwirksamenImago istAusdruckderDis-
krepanz zwischenmoderner Technologieaneignung und antimodernerWider-
ständigkeit gegen den Fortschritt. Der fortschrittspessimistische Schaukal griff
früh auf einMedium zurück, das sich Ende des 19. Jahrhunderts als bürgerli-
chesMassenphänomendurchzusetzenbegann.DieVerwendungderFotografie
alsMittel derKommunikationundRepräsentation ist deutlichesAnzeichen so-
zialer Transformationsprozesse, die Schaukals Stand unweigerlich eingeholt
hattenund indemsichdieserStandentsprechendseinerhabituellenMerkmale
und Ideale zu inszenieren verstand. Die Postkartenalben zeigen Szenen einer
bildungsbürgerlichen Familie, die sich in der Natur oder imGarten zur Schau
stellt. In aller Regel wurdenAufnahmen vor städtischemHintergrund vermie-
den, allerdings geben die raschen Sendungen der Fotografien – oft wurde an
einemTagmehrmals Post verschickt und empfangen– subtextuelle Hinweise
aufeinebeschleunigteWelt,dersichauchSchaukalnichtentziehenkonnte.
Diese fotografischenSelbstinszenierungsstrategienergänzeneinen inden
Briefen, in den biographischenArbeiten und in den autobiographischenBei-
trägen zu einer Selbstdarstellung erkennbaren dichterischen Selbstentwurf
Schaukals, der kulturkonservative Werte medial in Szene zu setzen wusste.
Dabei verfolgte er im Grunde das Ziel, sich in den öffentlichen literarischen
Diskurs auch ikonographisch einzuschreibenund somit zum ‚biographiewür-
digen‘ Individuumzuerheben.
Die Fotografien sind demnach Teil eines „postalischen Verfahrens“, anhand
dessen sich biographischeund soziokulturelle Erkenntnisse ableiten lassen.15 Die
montageartigkonzipiertenPostkartenalbenderFamilieSchaukalsindalsmoderne
Kommunikationsform zu werten. Dasselbe Bild konnte teils mehrmals zwischen
unterschiedlichenEmpfängerinnenundEmpfängern zirkulieren,wurdemit Kom-
mentaren versehen oder kleinen Zeichnungen verziert, ausgeschnitten und
14 Vgl. Peter C. Pfeiffer: Marie von Ebner-Eschenbach. Tragödie, Erzählung, Heimatfilm. Tü-
bingen2008,S.32.
15 SigridWeigel:KorrespondenzenundKonstellationen. ZumpostalischenPrinzipbiographi-
scherDarstellungen. In:GrundlagenderBiographik,S.41–54.
56 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik