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undmit ihr widerstrebend eine Symbiose eingeht, seine Kamera als gefräßige
Maschine, die lebendigeMomente in Rollen (Aufbewahrungshüllen) bannt und
sieartifiziell reproduzierbarmacht.PirandellosNovelle istbeinahezeitgleichmit
Prousts erstemTeil vonAuf der Suche nach der verlorenen Zeit erschienen, den
Walter Benjamin (1892–1940) ins Deutsche übersetzte. Benjamin, der in seinem
Kunstwerkaufsatz auf Pirandellos Erzählung verweist, die er in einer französi-
schen Übersetzung gelesen hatte,42 stand mit Kracauer in Kontakt. Von ihm
könnteauchdieAnregunggekommensein,denAufsatzmitdemGroßmutterbild
zubeginnen(wiebeiProust)43unddieFotografiealsgefräßigesMediumzuschil-
dern (wiebeiPirandellodieKamera): „DaßsiedieWelt frißt, ist einZeichender
Todesfurcht.DieErinnerungandenTod,der in jedemGedächtnisbildmitgedacht
ist,möchtendie Photographiendurch ihreHäufungverbannen.“44Wahrschein-
lich kannte Schaukal weder Kracauer noch Benjamin oder Pirandello, aber zu
seinenLieblingsbüchernzählteProustsAufderSuchenachderverlorenenZeit.45
SchaukalsRetrophilieundseinepraktischewie theoretischeAuseinanderset-
zungmit der Fotografie sindAusdruck einer sozialenOrientierungundDistink-
tion. Mithilfe der Fotografie sollten aristokratisch intendierte, aber bürgerlich
geäußerteGestendauerhaft festgehaltenundüberliefertwerden.46
3 BiographiealsSelbstreflexion
Die nach außenwirkenden aristokratischen Gesten und gesellschaftlichen In-
szenierungenaufFotografienkehren inSchaukalsHabitusalsSammlervonGe-
mäldenundBüchernsowienicht zuletzt auch inseinenbiographischenTexten
42 Vgl.Walter Benjamin: DasKunstwerk imZeitalter seiner technischenReproduzierbarkeit.
In: Benjamin: Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Hg. vonRolf TiedemannundHermannSchwep-
penhäuser.FrankfurtamMain1991,S.431–508,hierS.489–490.
43 Das vermutet Carlo Ginzburg: Details, Nahaufnahmen, Mikroanalyse. Randbemerkungen
zueinemBuchSiegfriedKracauers. In:Ginzburg:FadenundFährten.Wahr, falsch, fiktiv.Aus
demItal. vonVictoriaLorini.Berlin2013,S.76–88,hierS.80
44 Kracauer:DiePhotographie,S.94.
45 Vgl.Schaukal: IchunddieBücher. In:Schaukal:ErkenntnisseundBetrachtungen.Leipzig
1934, S. 358. Vgl. zum Thema auch Cornelius Mitterer: Blickdichte. Richard Schaukals und
Luigi PirandellosnarratologischerDialogüberPerspektive,Geschwindigkeit undÄsthetik. In:
Technische Beschleunigung – ästhetische Verlangsamung?Mobile Inszenierung in Literatur,
Film,Musik,AlltagundPolitik.Hg.vonJanRöhnert.Kölnu.a. 2015,S. 190–207.
46 Vgl.MaxKommerell:DieSpracheunddasUnaussprechliche.EineBetrachtungüberHeinrich
vonKleist. In:Kommerell: Geist undBuchstabederDichtung.Goethe, Schiller, Kleist,Hölderlin.
FrankfurtamMain1991,S.243–317.Zuerst in:DasInnereReich,4. Jg.,H.1 (1937),S.654–697.
64 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik