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wieder.47DennmitdemAufkommenderFotografie verliert die schriftlicheBio-
graphie keineswegs ihre Geltung oder macht die Produktion von Lebensge-
schichten überflüssig.48 Sie reiht sich vielmehr in ein habituelles Gesamtbild
ein,dasvonunterschiedlichenmedialenFormatenerzeugtundgetragenwird.
RichardSchaukalwar imBesitzeinerdergrößtenWienerPrivatbibliotheken,
die sichheute imNiederösterreichischenLandesarchiv inSanktPöltenbefindet.
Aktuell verzeichnet der Onlinekatalog (OPAC) 2.677 Werke, die ‚Schaukal-
Bibliothek‘ umfasst aber an die 10.000 Bücher, darunter handsignierte Erstau-
sgabenundandereRarissima.49AbgesehenvomkulturellenWert der Privatbib-
liothek lassen sich anhand der Titel Rückschlüsse auf Schaukals literarische
Mentalität ziehen.SiegfriedKracauerbezeichnetdieAnalysevonErfolgsbüchern
und ihremPublikum 1931 als „Kunstgriff zur Erforschung von Schichten, deren
Struktur sich auf direktem Weg nicht bestimmen lässt.“50 Zum Leseklientel
der Biographie zählte er vor allem die „neubürgerliche“ Gesellschaftsschicht.51
Schaukal verabscheute zwardieneubürgerlicheSchicht, las aberwie sieBiogra-
phien. Seine Privatbibliothek ist mit einer ganzen Reihe auto-/biographischer
Werke bestückt. Neben Künstlerportraits und Forscherbiographien finden sich
darunterMemoiren europäischer Staatsmänner sowie geschichtlicheWerke von
Leopold von Ranke (1795–1886), Theodor Mommsen (1817–1903), der 1902mit
demNobelpreis für Literatur geadelt wurde, undweiteren Exponenten, die die
politischeBiographikundHistoriographie im19. Jahrhundertmaßgeblichbeein-
flusst haben. Reinhold Schneider (1903–1958) schildert inWinter inWien (1958)
seinenEindruck der Büchersammlungunddes universalistischen Sammlergeis-
tesRichardSchaukals:
Die inzweihoheRäumezusammengedrängteBibliothek,großartigerAusdruckeinessou-
veränen Geistes, dessen Spannweite sich schon durch die gleichzeitige Bevorzugung
E.T.A. Hoffmanns undPascals anzeigt;Weltliteratur, Recht, Geschichte [. . .]; die Bücher
stehen nur dann miteinander in Beziehung, reden nur dann miteinander, wenn ein
Menschsieverbindet [. . .].52
47 EineÜbersichtüberSchaukalsbiographischesSchaffen findetsich imAnhang.
48 Vgl.KentaroKawashima:AutobiographieundPhotographienach1900.Proust,Benjamin,
Brinkmann,Barthes,Sebald.Bielefeld2011,S. 23.
49 NacheinerAuskunftdesehemaligenLandesarchivleitersWillibaldRosner.
50 Kracauer:BemerkungenzuFrankThieß. In:Kracauer:Schriften.Bd.5.2:Aufsätze1927–1931.
Hg.vonInkaMülder-Bach.FrankfurtamMain1990,S.312–318,hierS.312.
51 Kracauer: Die Biographie als neubürgerliche Kunstform. In: Kracauer: Das Ornament der
Masse.Essays.FrankfurtamMain1977,S.75–80.
52 ReinholdSchneider:Winter inWien.AusmeinenNotizbüchern 1957/58.Freiburg imBreis-
gauu.a. 2003,S. 165–166. 3 BiographiealsSelbstreflexion 65
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik